14.06.2021
Heuer findet das 150. Jubiläum der Pariser Kommune statt. Der Aufstand der Bevölkerung (Arbeiter/innen, Kleinhändler und Handwerker) von Paris, der damaligen größten Stadt Europas, führte sie zur Ausübung der politischen Macht, die die Besitzenden aufgegeben hatten. Für die ganze Generation der Gründer der Arbeiter/innenbewegung im XIX. Jahrhundert war das der Beweis, dass das arbeitende Volk in der Lage ist, eine eigene Regierungsform zu schaffen und die Gesellschaft in ihrem Interesse zu leiten und umzugestalten. In kürzester Zeit wurden Reformen umgesetzt, die in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft für utopisch erklärt werden. Nach 72 Tagen ihres Bestehens wurde im Mai 1971 die Kommune von der bürgerlichen Regierung mit Hilfe der preußischen Armee blutig niedergeschlagen. Aber sie bleibt ein Vorbild an Entschlossenheit, Kampfbereitschaft und Internationalismus: All die Qualitäten, die die Arbeiter/innenschaft in sich trägt und die zum Ausdruck kommen, wenn sie sich in Bewegung setzt. Ihre Botschaft ist immer noch lebendig in den Herzen und Köpfen derer, die für eine Welt ohne Ausbeutung kämpfen. Sie bleibt das lebende Beispiel, dass die Arbeitenden die Gesellschaft verändern können, wenn sie die Macht ergreifen.
Seit 1851 war in Frankreich die Republik, die im Juni 1848 die Arbeiter/innen niedergeschlagen hatte, dem Zweiten Kaiserreich von Napoleon III. gewichen. Dieses Polizeiregime hatte eine schamlose und schurkische Bereicherung der besitzenden Klassen ermöglicht, die im Gegensatz zum Elend der Arbeiter/innen/klasse stand. Angesichts der Arbeiterunruhen der späten 1860er Jahre glaubte Napoleon III., die innenpolitische Gefahr abzuwenden, indem er am 19. Juli 1870 den Krieg gegen Preußen erklärte. Der Krieg beschleunigte nur den Untergang Napoleons III: Er kapitulierte am 2. September. Zwei Tage später brach das Kaiserreich zusammen und die Arbeiter/innen erzwangen in Paris wie in anderen Städten die Ausrufung der Republik. Als Reaktion gegen die drohende preußische Besatzung, hatte sich die arbeitende Bevölkerung von Paris in großer Zahl den Einheiten der Nationalgarde angeschlossen. Diese Bürgerwehr, deren Mitglieder bis dahin in erster Linie aus den bürgerlichen Schichten kamen, verzeichnete zwischen August und September einen Anstieg ihrer Zahl von 24.000 auf 300.000 Kämpfer, hauptsächlich aus den Arbeiter/innen/vierteln. Und sie funktionierte demokratisch: Abgesehen vom Oberbefehlshaber, der von der Regierung ernannt wurde, wurden alle Offiziere und Unteroffiziere gewählt. Durch ihre Teilnahme an der Nationalgarde verfügte also die einfache Bevölkerung über Waffen.
Von da an war die Hauptsorge der bürgerlichen Regierung, die den Kaiser ersetzt hatte, die Bevölkerung zu entwaffnen. So unterdrückte er am 22. Januar die Menschenmenge, die angesichts der Kapitulationsankündigungen zur Demonstration vor dem Rathaus gekommen war. Frankreichs Kapitulation wurde am 28. Januar wirksam. Für die Pariser Proletarier war es klar, dass die Regierung versuchte, die Gefahr, die sie darstellten, loszuwerden, indem sie sie einfach der preußischen Armee übergab. Thiers, der von der neuen am 8. Februar gewählten reaktionären Nationalversammlung zum Regierungschef ernannt worden war, bereitete die Kraftprobe vor. So entzog er Paris den Hauptstadtstatus und richtete die Nationalversammlung in Versailles, der königlichen Stadt, ein. Er schuf den Sold der Nationalgarden ab und zwang sie, um staatliche Almosen zu betteln. Er verfügte, dass die seit Kriegsbeginn ausgesetzten Handelszahlungen fortan fällig seien. In gleicher Weise erklärte er die nicht bezahlten Mieten für fällig. Dreihunderttausend Arbeitende, Kleinhändler und -gewerbetreibende wurden so der Gnade der Besitzer ausgeliefert oder in den Bankrott getrieben.
Eine Regierung im Dienst der arbeitenden Bevölkerung
Letztendlich schickte er am 18. März 1871, um 3 Uhr in der Früh, 15.000 Soldaten, um die 150 Kanonen der Nationalgarde – die von der Pariser Bevölkerung selbst bezahlt worden waren - zu beschlagnahmen. Aber als die Bevölkerung in der Früh erwachte, eilte sie zum Ort des Geschehens, allen voran die Frauen, und überzeugte die Soldaten, die Befehle nicht auszuführen. Die Soldaten richteten schließlich den General hin, der ihnen befohlen hatte, auf die Menge zu schießen. Sofort danach nahmen die Aufständischen ohne Widerstand die Orte der Macht in Besitz: Das Rathaus, die meisten Bezirksvorstehungen, Kasernen, das Polizeipräsidium, die Staatsdruckerei, Ministerien usw. In Panik geraten, flüchteten die Minister und die bourgeoisen Schichten nach Versailles. Paris war in der Hand des arbeitenden Volkes. So rief es die Kommune aus, in Bezug auf die Kommune der Französischen Revolution, die achtzig Jahre zuvor gegründet worden war. Die rote Fahne wehte über dem Rathaus. Der erste Versuch einer Arbeitermacht begann.
Sofort organsierten die Pariser Arbeitenden – in sehr kurzer Zeit und unter den schwierigen Umständen der allgemeinen Knappheit - eine neue Verwaltung der Stadt, die eine demokratische Regierung der arbeitenden Bevölkerung vorwegnahm. Diese neue Macht war nämlich anders als alle anderen. Die Funktionäre wurden direkt von den Arbeiter/innen gewählt, konnten aber jederzeit abgesetzt werden und erhielten nur den Lohn eines Arbeiters. Das stehende Heer wurde durch das bewaffnete Volk ersetzt. Es wurden auch Sofortmaßnahmen beschlossen, um die Lebensbedingungen der Arbeiter/innen konkret zu verbessern: insbesondere eine Stundung der Mieten, die wegen des Stillstands der Wirtschaftstätigkeit nicht bezahlt werden konnten; die Verkürzung der Arbeitszeit; die Erhöhung der niedrigsten Löhne; das Verbot der Nachtarbeit für Kinder und Frauen und die Schaffung von öffentlichen Kantinen. Und es wurden Initiativen organisiert, um kostenlose Bildung für die Kinder der Arbeiter/innen zu schaffen. Die Obdachlosen wurden aufgenommen, untergebracht und versorgt.
„Völker hört die Signale“
Die Vermögenden fürchteten, dass sich diese Volksmacht auf den Rest des Landes ausbreiten würde. Um ihre Ordnung zu retten, waren sie bereit ein Blutbad auszuüben. Mit dem Einverständnis des deutschen Kaisers, dessen Truppen vor den Toren von Paris lagerten, ließ Thiers am 21. Mai die neue Armee, die er in Versailles zwei Monate lang organisieren konnte, in Paris einmarschieren. Die Verteidigung der Pariser Arbeiter/innen war heldenhaft. Sie dauerte eine ganze Woche, bis die in Zahl, Ausrüstung und Organisation überlegenen Truppen die Hauptstadt zurückeroberten. Mehr als 20.000 Männer, Frauen und Kinder wurden innerhalb weniger Tage getötet. Zehntausende Menschen wurden ins Gefängnis geworfen oder in Übersee-Strafkolonien deportiert. "Der Sozialismus ist für eine Generation besiegt", jubelte Thiers nach dem Massaker. Er irrte sich. Eugène Pottier, ein Überlebender des Tötens, komponierte im Juni 1871 im Untergrund das Lied „Die Internationale“, welches die Hymne der Arbeitenden in der ganzen Welt werden sollte. Und in den Folgenjahren blühte die sozialistische Bewegung auf, mit der Schaffung mächtiger Gewerkschaften und Parteien. Alle Arbeiterrevolutionen des 20. Jahrhunderts, angefangen mit den russischen Revolutionen von 1905 und 1917, hatten das Beispiel der Kommune im Kopf, um herauszufinden, wie die Arbeiter/innenklasse eine politische Macht, die wirklich in ihrem Dienst steht, aufbauen und kontrollieren kann. Diese Eigeninitiative, diese Energie, eine neue Gesellschaft zu schaffen, schlummert heute noch in den Köpfen der arbeitenden Jugend aller Länder. Dieser Vulkan wird erwachen müssen, um den Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation in der Krise des Kapitalismus zu verhindern!