Griechenland vor einer Revolution?

 

5. April 2012

Die kapitalistische Krise hat Griechenland fest im Griff. Die herrschende Klasse ist angeschlagen. Die Lohnabhängigen haben mit bisher 17 Generalstreiks auf die Angriffe von Regierung und EU geantwortet. Es gibt in der Gesellschaft eine deutliche Linksentwicklung. Aber noch ist der Ausgang der Kämpfe nicht entschieden.

In der deutschsprachigen Medienpropaganda wird seit Beginn der griechischen Krise behauptet, „die Griechen" hätten „über ihre Verhältnisse gelebt", keine Steuern gezahlt etc. Das stimmt so natürlich überhaupt nicht. Der Masse der griechischen Lohnabhängigen wurde – genau wie den Arbeiter/inn/en in Österreich oder Deutschland – schon immer die Lohnsteuer von ihrem meist geringen Einkommen abgezogen. Wer in Griechenland kaum Steuern gezahlt hat, waren die Großkapitalist/inn/en; sie haben etwa 600 Milliarden Euro allein in der Schweiz gebunkert, also etwa doppelt so viel, wie die griechischen Staatsschulden ausmachen. Und aus den Steuern der Arbeiter/innen/klasse hat Griechenland in den letzten 20 Jahren mehr als 600 Milliarden Euro an Zinsen an die Banken gezahlt, die an den griechischen Staatsschulden seit langem gut verdienen.

Ökonomische Krise

Griechenland war immer ein Land der Peripherie des kapitalistischen Europa. Lange Zeit stand die Landwirtschaft im Vordergrund, die Hauptkapitalgruppe waren die Reedereien, ab den 1960er Jahren kam der Tourismus hinzu sowie die Überweisungen der zahlreichen griechischen Migrant/inn/en in Übersee, Deutschland und andere Länder. Mit dem EU-Beitritt Anfang der 1980er Jahre setzte eine gewisse Modernisierung ein, in den 1990er Jahren wurde Griechenland sogar zu einer kleinen Regionalmacht am südlichen Balkan und zu einem Einwanderungsland. Um die Jahrtausendwende gab es einen bescheidenen ökonomischen Boom, der Höhepunkt davon symbolisiert durch die auf Pump finanzierten Olympischen Spiele 2004.

Das konnte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der griechische Kapitalismus weiterhin schwach war, kaum eine eigenständige industrielle Basis hatte und schon ab 2006/07 die ausländischen Direktinvestitionen dramatisch zurückgingen. Das lag nicht in erster Linie am Ende des „Olympia-Booms", sondern an der Einführung des Euro in Kombination mit der übermächtigen Konkurrenz des „deutschen Blocks" (Deutschland und seine engsten Verbündeten Niederlande und Österreich sowie auch skandinavische Länder). In Griechenland und anderen Ländern wie Spanien, Portugal, Italien sind zwischen 2000 und 2005 die Lohnstückkosten gegenüber dem „deutschen Block" um 10% gestiegen (aufgrund der Angriffe auf die deutschen Arbeiter/innen mit „Hartz 4" etc.). Die Möglichkeit, durch die Abwertung der eigenen Währung die Lohnstückkosten am Weltmarkt wieder zu senken, wurde Griechenland durch die Teilnahme am Euro versperrt.

Als die internationale Finanzkrise ab 2008 in Fahrt kam, waren davon schwächere Ökonomien natürlich stärker betroffen; sie haben weniger Spielräume und Möglichkeiten, gegenzusteuern oder die Probleme auf andere abzuwälzen. Während der „deutsche Block" von Herbst 2009 bis Herbst 2011 einen (instabilen) Mini-Boom erlebte, gerieten Länder wie Griechenland so richtig in den Strudel der Krise. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank bereits 2008 um 0,2%, 2009 um 3,2% und 2010 um 3,5%, 2011 mit den Auswirkungen der Kürzungs- und Sparpolitik schließlich um 6,8% - und für 2012 erwarten selbst bürgerliche Ökonom/inn/en (deren Voraussagen da zuletzt immer günstiger waren als die Realität) einen erneuten Rückgang von 6-7%.

Die von der so genannten „Troika" (aus EU-Kommission, EZB und IWF) verordnete Einsparungspolitik drückt die griechische Wirtschaft noch stärker in die Krise. Lohnkürzungen, Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüche führen zu einem Einbruch der Kaufkraft und zu einer Spirale nach unten. Aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit wird beispielsweise damit gerechnet, dass dem Sozialsystem, in das die Lohnabhängigen einzahlen, weitere zwei Milliarden Euro an Einnahmen entgehen werden. Rückläufige Lohnsteuereinnahmen werden die Rückzahlung der Staatsschulden immer schwieriger machen.

2009, am Beginn der Krise, machten die griechischen Staatsschulden 113% des BIP aus, gleich viel wie in Italien und Großbritannien, weniger als in den USA oder Japan. Dass es zur Hauptzielscheibe der internationalen Finanzspekulation und der Rating Agenturen geworden ist, liegt daran, dass es sich als ökonomisch und politisch relativ schwaches Land gut eignet: einerseits für die Banken und Hedgefonds, die daran super verdient haben und verdienen, andererseits für die Kapitalist/inn/enklasse und ihre Politiker/innen insgesamt, denen Griechenland als Laboratorium dient, in dem sie ihre Politik austesten und das als Drohszenario für die Lohnabhängigen anderer Länder verwenden. Da das BIP infolge der Sparpolitik gesunken ist und aufgrund der Spekulationen gegen Griechenland und der Politik der Rating Agenturen machen die griechischen Staatsschulden mittlerweile 160% des BIP aus.

Vom aktuellen Finanzpaket (Februar 2012), mit dem die EU angeblich „den Griechen" hilft, werden die griechischen Lohnabhängigen gar nichts haben. Von den 130 Milliarden Euro gehen 30 Milliarden direkt an ausländische und 39 Milliarden an griechische Gläubigerbanken, die restlichen 61 Milliarden gehen auf ein von der Troika kontrolliertes Sperrkonto, was sicherstellen soll, dass die Zinsen an die Banken und Hedgefonds auch weiter brav bedient werden. Real handelt es sich nicht um ein Rettungspaket für Griechenland im Sinne der Masse der Bevölkerung, sondern um eines für die westeuropäischen und griechischen Banken. Aufkommen müssen dafür die europäischen und insbesondere die griechischen Lohnabhängigen.

Der so genannte Schuldenschnitt, der dann im März 2012 vereinbart wurde, geht in dieselbe Richtung: Über 90% der Gläubiger haben sich angeblich dazu bereit erklärt, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten beziehungsweise sie in neue griechische Anleihen umzutauschen. Real bedeutet das, dass den Banken und anderen Spekulant/inn/en, die meist schon ein Vielfaches ihres geborgten Geldes an Zinsen bekommen haben, nun garantiert werden soll, dass sie zumindest Teile ihrer Spekulationsgelder retten können und ihre oft längst abgeschriebenen Kredite teilweise noch zurückbezahlt bekommen. Und Teile von dem, was sie tatsächlich verlieren, holen sie sich bei den so genannten „Rückversicherern", wo oft in letzter Instanz wieder die Steuerzahler/innen im Land der jeweiligen Bank haften (beispielsweise bei der Kommunalkredit in Österreich). Und manche Hedgefonds bereiten sogar Klagen vor, weil sie, obwohl sie sich mit den so genannten CDS, also Wetten auf den Kreditausfall, bereits dumm und dämlich verdient haben, auf keinerlei weitere Ansprüche verzichten wollen.

Die ganze Politik der Troika gegenüber Griechenland, die Willfährigkeit gegenüber den Banken und die brutale Zerstörung des bescheidenen Lebensstandards der griechischen Arbeiter/innen zeigen den wirklichen Charakter der EU. Sie ist kein Schritt auf dem Weg zu einer ökonomischen, demokratischen und sozialen Vereinigung Europas, wie das immer wieder in der öffentlichen Propaganda verkauft wird, sondern ein Werkzeug zur Unterwerfung aller europäischen Lohnabhängigen unter die Diktatur des Finanzkapitals. Die herrschenden Klassen der EU-Staaten und die ihnen dienende Troika wollen die Wirtschaftskrise für einen Generalangriff auf die Lohnabhängigen nutzen und Griechenland ist dafür das Testfeld.

Politische Krise der Herrschenden

2009 war die Regierung der konservativen Nea Dimokratia (ND) von Kostas Karamanlis durch die immer stärker werdende Krise sowie etliche Korruptionsskandale schwer angeschlagen. Die Neuwahlen im Oktober führten zu einem Wahlsieg der PASOK unter Giorgos Papandreou, die mit 44% die absolute Mandatsmehrheit erreichte. Manche Lohnabhängige hatten Illusionen in die soziale Rhetorik der PASOK, und Papandreou versuchte anfänglich auch, seine Politik als sozial ausgewogen hinzustellen. Unter dem Druck der Bourgeoisie, der internationalen Finanzmärkte und der EU wurde daraus aber rasch ein Frontalangriff auf die Arbeiter/innen/klasse und die „Mittelschichten".

Angesichts des massiven Widerstandes der Lohnabhängigen, einbrechender Umfragewerte, abspringender Abgeordneter und einer immer wackeligeren parlamentarischen Mehrheit war die Regierung Papandreou schließlich im November 2011 am Ende. Ersetzt wurde der abgenutzte PASOK-Vorsitzende durch den früheren Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank, den „parteilosen" Loukas Papadimos, also einen direkten Agenten des internationalen Finanzkapitals. Er ist ebenso ungewählt wie diverse EU-Kommissare, die sich als Herren über das Schicksal ganzer Länder aufspielen, und stützte sich parlamentarisch auf PASOK, ND und die rechtskonservative bis rechtsextreme LAOS.

Rund um die Verabschiedung des so genannten Memorandums (130 Milliarden Hilfspaket, Schuldenschnitt, neue Angriffswelle auf die Arbeiter/innen/klasse) Mitte Februar kam es in allen drei Parteien zu Erschütterungen. Die LAOS hatte die Angriffe der Regierung Papadimos lange mitgetragen, im Februar 2012, nach einem Einbruch in den Umfragen, erklärte ihr Vorsitzender Georgios Karatzaferis allerdings den Rückzug aus der Regierung. Er verweigerte die Zustimmung zu dem Memorandum, da es „in Griechenland eine Revolution, die ganz Europa niederbrennen könne, auslösen" würde. Zwei der vier LAOS-Minister folgten seiner Entscheidung aber nicht und stimmten für das Memorandum. Die LAOS ist heute gespalten, liegt bei Umfragen nur noch bei der Hälfte des Ergebnisses von 2009 (damals 6%) und hat offenbar stark an die offen faschistische Schlägertruppe Chrisi Avgi verloren.

Die ND hat mittlerweile nur noch 62 von ehemals 91 Parlamentsabgeordneten; die restlichen, die die Zustimmung zum Memorandum verweigerten, wurden aus der Partei ausgeschlossen. 2009 hatte die ND, nach einem Verlust von 8,4%, noch 33,5% der Stimmen erhalten, bei aktuellen Umfragen liegt sie um die 25%. Das ist Ausdruck davon, dass auch in den (klein-) bürgerlichen Schichten die Unzufriedenheit mit der Kürzungspolitik steigt, dass diese Schichten aber noch eher bereit sind, dieses neoliberale „Gesundungsprojekt" mitzutragen als andere Teile der Bevölkerung. Dass die ND in Umfragen weniger Verluste zu verzeichnen hat, liegt auch daran, dass sie manches auf die Papandreou-Regierung abschieben kann, ihr Vorsitzender Andonis Samaras anfänglich eine nationalistische Rhetorik gegen manche EU-Vorgaben an den Tag gelegt hat und sie zuletzt weniger durch eine Regierungsbeteiligung abgenutzt ist.

Am stärksten durch die Krise zerzaust ist die PASOK. Sie stand die letzten beiden Jahre an der Spitze der Angriffspolitik gegen die Bevölkerung, hat sich in der Regierung stark beschädigt und liegt bei Umfragen oft nur noch bei 10%, ein dramatischer Verlust von über 30% in etwa zwei Jahren. Durch abtrünnige Abgeordnete hat sie nur noch 130 von ehemals 160 Abgeordneten. Sie kann auch ihr Kernklientel (Staatsbedienstete, bessergestellte Lohnabhängige und auch Teile der Landbevölkerung) immer weniger bedienen, und der Widerspruch ihrer Politik zu ihrer früheren sozial(istisch)en Rhetorik ist so frappant, dass ihr Mitglieder und Sympathisant/inn/en scharenweise davonlaufen.

Die PASOK war nie eine klassische sozialdemokratische Arbeiter/innen/partei, also eine Partei, die zwar bürgerliche Politik betrieb, aber sich zentral und auf existenzielle Weise auf die Arbeiter/innen/klasse stützte. Sie hatte auch keine lange Tradition in der Arbeiter/innen/bewegung, sondern war erst 1974 aus dem linken Flügel der bürgerlich-liberalen Zentrumsunion und linken Student/innen/gruppen entstanden. Sie kombinierte linkssozialdemokratische mit antiimperialistischer Rhetorik, setzte aber gleichzeitig die alte Klientelpolitik der Zentrumsunion fort. Nach ihrer Regierungsübernahme 1981 schanzte sie ihren Parteigänger/inne/n ebenso viele staatliche oder staatsnahe Posten zu wie zuvor die Konservativen. Eine Dominanz in den Gewerkschaften erreichte ihre Frontorganisation PASKE erst ab 1981, stark befördert durch staatlich-bürokratische Einflussnahme.

Dass für reformistische Deals zwischen Kapital und Gewerkschaften angesichts einer schweren ökonomischen Krise wie in Griechenland kaum mehr Spielraum ist und das für sozialdemokratische Parteien zersetzend wirkt, ist natürlich. Für eine Partei wie die PASOK, bei der das sozialdemokratische Element einer organischen Verbindung mit der Arbeiter/innen/klasse schwach ausgeprägt ist, gilt das umso mehr. Die Hoffnung mancher Linker, dass im Falle einer Zuspitzung von Krise und Klassenkampf die Arbeiter/innen/massen gleichsam automatisch in die vorherrschende reformistische Partei strömen würden, war schon immer ein illusionäres Schema, für eine Partei wie die PASOK, die in Griechenland eben nicht die traditionelle Arbeiter/innen/partei ist, umso eindeutiger. Die griechischen Arbeiter/innen spucken den PASOK-Abgeordneten heute ins Gesicht, in vielen Wahlkreisen im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Troika wollte eigentlich, dass die „Einheitsregierung" von Papadimos bis zum Ende des Jahres weiter macht. Die griechische Kapitalist/inn/enklasse und die Führung der ND haben aber gut verstanden, dass das für sie sehr gefährlich wäre. Die ND würde durch die fortgesetzte Unterstützung für Papadimos und seine Politik abgenutzt und beschädigt. Bei Neuwahlen erst Ende 2012 könnte ihr ein noch massiverer Einbruch drohen, würde die politische Option einer neuen ND-Regierung womöglich zerstört und die Linke noch mehr gestärkt werden. So könnte die ND aus den Neuwahlen im April durchaus auch mit 25% der Stimmen als stärkste Partei hervorgehen und aufgrund des verstärkten Verhältniswahlrechtes (= die stärkste Partei bekommt automatisch 40 Sitze dazu) und eventuell mit der Unterstützung einer minimierten PASOK oder anderer kleinerer Parteien eine neue Regierung zusammenbekommen. Aber selbst, wenn eine solche Regierungsbildung funktionieren sollte, wird das die politische Krise im Land nicht lösen. Auch eine solche neue Regierung würde die ökonomischen und sozialen Probleme nicht lösen, der Bevölkerung keine Perspektive bieten, sich nur auf eine schmale Basis stützen können und entsprechend instabil sein.

In Wirklichkeit weiß die griechische Bourgeoisie nicht weiter. Ihre führenden Vertreter/innen sind orientierungslos und unentschlossen. Die griechische Kapitalist/inn/enklasse hat keinen Ausweg aus der Sackgasse. Ohnmächtig, unterwürfig und in allen wichtigen Fragen zu einer eigenständigen Politik unfähig, wirft sie sich in die Arme der EU, die ihr die Herrschaft im eigenen Land retten soll. Diese Situation ist Ausdruck der Schwäche des griechischen Kapitalismus. Die landwirtschaftliche Industrie und der Tourismus sind klein strukturiert und stellen keine relevante und handlungsfähige Kapitalgruppe dar, die griechischen Schiffskapitalist/inn/en wiederum, die die größte Handelsflotte der EU betreiben, sind nur mit Abstrichen mit dem griechischen Staat, sondern eng mit ausländischem (besonders britischem) Kapital verbunden. Der griechische Kapitalismus ist zwar nicht klassisch halbkolonial, er spielt im europäischen Kapitalismus aber dennoch eine sehr periphere und letztlich eine von den großen EU-Mächten und Kapitalgruppen abhängige Rolle.

Bereits seit einem Jahr gibt es immer wieder Gerüchte, dass es in Griechenland einen Militärputsch geben könnte. Unter EU-Funktionären und -Diplomat/inn/en sind Informationen zirkuliert, dass für den Fall, dass die Proteste der Bevölkerung in Griechenland „außer Kontrolle" geraten würden, eine Machtübernahme des Militärs möglich wäre, die von der EU „toleriert" würde. Das ist durchaus nicht auszuschließen; immerhin hat der „demokratische Westen" immer wieder und auch in Europa Militärdiktaturen unterstützt (in Portugal, Spanien, der Türkei und eben in Griechenland) und mit den berüchtigten Gladio-Machenschaften im Untergrund ähnliches für andere Länder geplant. Dennoch ist ein Militärputsch in Griechenland sicherlich nicht die vorrangige Option für die europäische Bourgeoisie, sondern nur ein letzter Ausweg zur Erhaltung ihrer Macht. Die Militärjunta von 1967-1974 ist in der griechischen Bevölkerung auch dermaßen verhasst, dass ein Militärputsch, der solche Erinnerungen wachruft, auch für die Herrschenden eine riskante Angelegenheit ist. Vorerst setzt die Kapitalist/inn/enklasse auf eine schleichende Außerkraftsetzung von demokratischen Rechten: Real wird die griechische Politik seit Monaten von Diktaten der EU und des IWF bestimmt, und in guten Teilen der griechischen Bevölkerung ist bereits von einer „EU-Junta" die Rede, die EU-Aufpasser in den Ministerien werden oftmals (mit dem unübersetzten deutschen Begriff) als „Gauleiter" bezeichnet. Darüber hinaus setzt die Bourgeoisie auch auf verstärkte Repression gegen die Massendemonstrationen. Eine spezielle Gefahr geht dabei von den Verbindungen zwischen der Spezialpolizei MAT und den Faschist/inn/en der Chrisi Avgi aus.

Insgesamt geht die Entwicklung in Griechenland zurzeit nach links. Der Hass auf die Banken, die Reichen und das politische Establishment ist allgegenwärtig und enorm. Auch die Kleinbürger/innen und die „gehaltsbeziehenden Mittelschichten", die jetzt teilweise proletarisiert werden, gehen vorerst mehrheitlich nach links. Umfragen zeigen deutliche Zugewinne für die traditionalistisch-stalinistische KKE, das linksreformistische SYRIZA-Bündnis sowie die neue „sozialdemokratische" Formation DIMAR. Allerdings wird die Entscheidung über die Zukunft des Landes nicht in erster Linie in Wahlen fallen, sondern im Klassenkampf in den Betrieben und auf der Straße.

Soziale Krise

Die politische Krise in Griechenland ist natürlich nur vor dem Hintergrund der ökonomischen und sozialen Krise zu erklären, vor dem Hintergrund der Wut und des Drucks aus der Bevölkerung und insbesondere der Arbeiter/innen/klasse, vor dem Hintergrund des Klassenkampfes, der in den letzten beiden Jahren immer wieder neue Höhepunkte und Zuspitzungen erlebt hat.

Anders als in den deutschsprachigen Medien zur Legitimierung der EU-Politik gegenüber Griechenland verbreitet, lebten die griechischen Lohnabhängigen schon vor der Krise keineswegs in Saus und Braus. Natürlich finden Politiker/innen und ihre Medien, wenn sie es drauf anlegen, immer einige bessergestellte Gruppen und korrupte Bereichungen – und zwar in jedem Land. Für die Masse die Arbeiter/innen und einfachen Angestellten trifft das in Griechenland aber ebenso wenig zu wie in anderen Ländern.

Nach Berechnung der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) waren schon vor der Krise die griechischen Lohnabhängigen diejenigen mit den meisten Arbeitsstunden im Jahr, nämlich durchschnittlich 2017 Stunden (im Vergleich zu 1340 Stunden bei den deutschen Lohnabhängigen). Die reale Wochenarbeitszeit (inklusive Überstunden, Zweitjobs etc.) lag in Griechenland 2008 bei 44,3 Stunden, deutlich höher als im EU-Schnitt. Gleichzeitig lagen die Löhne in Griechenland 2010, vor Beginn der großen Einschnitte, bei nur 73% des Durchschnitts der Euro-Zone. Schon vor all den Kürzungen lag der Mindestlohn in Griechenland bei nur 700 Euro.

Schwerpunkte der medialen Hetzkampagne waren auch der angeblich hohe Anteil an Staatsbediensteten und das „die Griechen" angeblich so früh in Pension/Rente gingen. Beides hält einer seriösen Untersuchung nicht stand: Nach OECD-Angaben gehen etwa in Deutschland die Männer durchschnittlich im Alter von 61,8 Jahren in Pension, in Griechenland im Alter von 61,9 Jahren (bei niedrigerer Lebenserwartung). Außerdem musste schon vor den Kürzungen die große Mehrheit der Pensionist/inn/en mit weniger als 600 Euro pro Monat auskommen (bei einem kaum niedrigeren Preisniveau als in Österreich oder Deutschland). Der Anteil der Staatsangestellten an allen Erwerbstätigen liegt in Griechenland mit 8% unter dem Deutschlands (knapp 10%) und beträgt damit kaum mehr als die Hälfte des Durchschnitts der Industrieländer (15%). Darüber hinaus liegt der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung mit 36% deutlich unter jenem Deutschlands (45%).

Seit etwa zwei Jahren gibt es nun eine Angriffswelle auf den Lebensstandard der griechischen Lohnabhängigen nach dem anderen, die jede von EU und den berüchtigten Finanzmärkten für „unzureichend" erklärt wurden. Es gab massive Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst: Beispielsweise bekommt eine Gymnasiallehrerin, die bisher monatlich netto 1.300 Euro bezogen hatte, jetzt nur mehr 840 Euro. Viele Leute sind arbeitslos geworden; durch Kündigungen im öffentlichen Dienst, durch Kündigungen und Firmenzusammenbrüche im Privatsektor (in Folge des Schrumpfens der Wirtschaft): Die Arbeitslosigkeit lag bereits vor dem neuen Kürzungspaket von Februar 2012 bei offiziell 21%, bei Jugendlichen bis 24 Jahren sogar bei etwa 50%. Die Massensteuern sind deutlich erhöht worden: So kostet Super-Benzin etwa 1,85 Euro pro Liter. Auf Wohnungen wurde eine Sondersteuer eingeführt (zynischerweise als „Solidarität mit den Arbeitslosen" bezeichnet), die mit der Elektrizitätsrechnung vorgeschrieben wird; wer die Sondersteuer nicht zahlt, dem wird der Strom abgedreht.

Die Einsparungen im öffentlichen Dienst haben nicht nur drastische Folgen für die betroffenen Beschäftigten, sondern auch für die Versorgung der Bevölkerung und da natürlich besonders für diejenigen, die sich nicht mit viel Geld ohnehin alles kaufen können: Busse fahren seltener. In den meisten Krankenhäusern wird an die Patient/inn/en kein Essen mehr ausgegeben, sondern die Angehörigen müssen es selbst vorbei bringen. Medikamente müssen in Apotheken trotz Rezept bar bezahlt, das Geld muss nachher bei der Krankenkasse zurückgeholt werden, wo man viele Stunden lang ansteht. Dasselbe gilt für die Post, wo man aufgrund von Personaleinsparungen in der Regel mehrere Stunden ansteht. In vielen Volksschulen konnten, weil das Ministerium kein Geld mehr hat, bei Schulbeginn im Herbst keinerlei Schulbücher ausgegeben werden, und selbst im Februar waren nur einige da – ein normaler Unterricht war kaum mehr möglich.

Teilweise wurden seit Monaten keine Löhne ausbezahlt. Das und die hohe Arbeitslosigkeit haben zu einem massiven Anstieg der Obdachlosigkeit geführt. Manche Gegenden von Athen sind mittlerweile in einem Zustand wie US-Slums oder Städte der so genannten „Dritten Welt": verfallene Häuser, geschlossene Geschäfte, vernagelte Türen und Fenster, überall Müll, Bettler/innen, Menschen, die in Kartons schlafen. Viele Familien können sich Wohnen und Essen kaum mehr leisten. Eine Volksschullehrerin hat uns erzählt, dass in ihrer Schule in einem Arbeiter/innen/bezirk in West-Athen regelmäßig Schüler/innen vor Hunger ohnmächtig werden.

Mit dem Memorandum von Februar 2012 wird alles noch schlimmer werden. Als Preis für die EU-"Hilfe" von 130 Milliarden Euro, die in Wirklichkeit nur den Banken zu Gute kommen wird, hat sich die Regierung Papadimos zu weiteren Kürzungen verpflichtet: Bis 2015 sollen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst um weitere 150.000 reduziert werden, 15.000 davon bereits bis Ende 2012. Der Mindestlohn, der ohnehin oft nicht eingehalten wird, soll weiter gesenkt werden, nämlich auf 586 Euro für Erwachsene beziehungsweise 525 Euro für Jugendliche bis 24 Jahre. Das Arbeitslosengeld soll gar nur noch 322 Euro betragen und nur noch ein Jahr bezogen werden können; was die Betroffenen danach tun, ist der griechischen Regierung offenbar ebenso egal wie der Troika. Darüber hinaus sollen die Löhne im Privatsektor eingefroren werden.

Eine weitere Bedingung für das „Hilfspaket" ist die drastische Ausweitung von Privatisierungen von den bisher geplanten fünf Milliarden auf 35 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass große Teile des öffentlichen Gemeineigentums an Konzerne verscherbelt werden sollen. Gedacht ist etwa an die Wasserversorgung von Attika (inklusive Athen) und Thessaloniki. Die privaten „Investoren" werden sich die Gewinn versprechenden Bereiche heraussuchen, für die Bevölkerung wird die Versorgung teurer und schlechter werden – und die anderen Bereiche werden dem Staat bleiben (und ohne die profitablen verkommen). Verdienen werden daran einige griechische und etliche deutsche, französische, britische etc. Konzerne.

Die sozialen Folgen des neuen Abkommens werden dramatisch sein. Die Arbeitslosigkeit wird weiter ansteigen, die Löhne sinken. Immer mehr Menschen (Arbeitslose und Arbeiter/innen) werden sich selbst Grundbedürfnisse wie Essen und Wohnen immer weniger leisten können. Bereits für das kommende Jahr wird, da Reserven bei vielen bereits aufgebraucht sind, mit einer Welle von Delogierungen gerechnet. Die Obdachlosigkeit wird noch weiter ansteigen. Ob die Regierung ihre Beschlüsse auch so durchsetzen kann, wird aber auch vom Klassenkampf und der Arbeiter/innen/bewegung abhängen.

Klassenkampf angesichts der Krise

In den letzte beiden Jahren haben in Griechenland 17 Generalstreiks stattgefunden, die meist jeweils 24 oder 48 Stunden lang gedauert haben. Sie wurden von den beiden Gewerkschaftsdachverbänden GSEE (Privatsektor) und ADEDY (öffentlicher Dienst) überwiegend zum Dampfablassen benutzt, um dem Druck von der Basis der Lohnabhängigen ein Ventil zu geben; an einen ernsthaften Kampf war seitens der Gewerkschaftsbürokratien nie gedacht. Die PAME, die Gewerkschaftsfront der KKE, ist in den allermeisten Fällen separat aufmarschiert, mit sehr starken und straff organisierten Demonstrationszügen. In den Protesten ist der Einfluss der radikalen, antikapitalistischen Linken in den letzten beiden Jahren angewachsen.

Über die zentralen Mobilisierungen hinaus haben in den letzten Monaten zahllose Einzelkämpfe stattgefunden. Zu nennen ist etwa die wochenlange Besetzung eines Stahlwerkes westlich von Athen oder die Besetzung des örtlichen Krankenhauses in Kilkis (Makedonien). Ein anderes Beispiel sind die fortgesetzten Arbeitskämpfe in größeren Gastronomiebetrieben in Thessaloniki, in denen die trotzkistische OKDE (Ergatiki Pali) eine wesentliche Rolle spielt. Und im ganzen Land, besonders in Arbeiter/innen/vierteln, gibt es lokale Komitees, die etwa gegen Stromabschaltungen und Delogierungen kämpfen.

Die Gesamtbewegung hat in den letzten beiden Jahren mehrere Höhepunkte erlebt. Die erste Zuspitzung fand Anfang Mai 2010 statt, als Millionen Menschen im Streik waren und Hunderttausende auf der Demonstration in Athen. Überschattet war dieser Protest davon, dass drei Bankangestellte in einer Bank verbrannten (die Bank war während der Demo angezündet, die Angestellten von ihren Chefs zuvor in der Bank eingeschlossen worden). Im Juni 2011 gab es – mit Bezugnahme auf den ägyptischen Tahir-Platz – die Bewegung der Platzbesetzungen: Bis zu 500.000 Demonstrant/inn/en am Syntagma-Platz in Athen Anfang Juni, 200.000 Mitte Juni in Kombination mit einem Generalstreik und schließlich – begleitet von einem länger andauernden Streik der Elektrizitätsarbeiter/innen – der erste 48-stündige Generalstreik Ende Juni 2011.

Der nächste Höhepunkt der Bewegung war im Oktober 2011, eine neuerliche riesige Mobilisierung, bei der PAME/KKE annähernd die Hälfte stellten, in der anderen Hälfte dominierten mittlerweile antikapitalistische Organisationen oder Unorganisierte, während die Gewerkschaftsbürokratie sich kaum mehr in Erscheinung zu treten traut. Die bislang letzte Zuspitzung der Klassenkämpfe in Griechenland fand im Februar 2012, angesichts des erläuterten Memorandums, statt. Nach einem 48-stündigen Generalstreik am 10. und 11. Februar, während dessen die Demonstrationen nicht so groß waren, waren am 12. Februar, dem Tag der Beschlussfassung, nach verschiedenen Angaben im ganzen Land ein bis zwei Millionen Menschen gegen die neuen Kürzungen mobilisiert; allein in Athen 500.000 bis zu einer Million (manche sprechen gar von der größten Demonstration der griechischen Geschichte), sehr sehr viele auch in Städten wie Thessaloniki, Patras, Volos oder Iraklion (Kreta); KKE/PAME traten wieder separat auf.

Bei all diesen Zuspitzungen der Bewegung gab es dasselbe Hauptproblem, nämlich die Frage der Perspektive des Kampfes: Wie soll es nach der Großmobilisierung weitergehen? Was sind die konkreten Ziele des Kampfes? Immer mehr griechische Arbeiter/innen verstehen, dass 24- oder 48-stündige Generalstreiks nicht bringen. In anderen gesellschaftlichen Situationen können Massenstreiks und Kundgebungen, wie sie in Griechenland in den letzten beiden Jahren stattgefunden haben, eine Regierung zu einem Rückzug oder zu Zugeständnissen bringen. Dafür gibt es aber in Griechenland zurzeit nicht die Voraussetzungen, die Regierung hat keinen Spielraum dafür, die Krise des griechischen Kapitalismus ist zu tief.

Generalstreiks, die auf einen oder zwei Tage befristet sind, haben die Funktion, die kollektive Stärke der Arbeiter/innen/klasse zu zeigen, das Selbstbewusstsein der Klasse zu erhöhen. Wird diese Taktik aber zum Dampfablassen eingesetzt und immer wieder ohne Resultate wiederholt, verliert sie an Kraft und erschöpft sie die Lohnabhängigen. Jeder Streiktag bedeutet, da die griechischen Gewerkschaften kein Streikgeld zahlen (können), einen Lohnverlust (zusätzlich zu den Kürzungen) – und deshalb verlieren auch manche Arbeiter/innen, die dem Kampf gegen die Regierungspolitik sehr positiv gegenüber stehen, die Lust, für halbherzige Streiks noch mehr Geld zu verlieren.

Wie verhasst die zögerlichen und verräterischen Gewerkschaftsbürokrat/inn/en mittlerweile sind, zeigte sich bei der Massendemo am 12. Februar: Die Gewerkschaftsspitzen haben es, aus Angst vor der feindseligen Stimmung der Basis, nicht gewagt, sich mit Reden an die Demonstrant/inn/en zu wenden – zu oft sind die mittlerweile beschimpft, bespuckt und vertrieben worden. Immer mehr Lohnabhängige verstehen, dass andere, konsequentere Kampfformen notwendig sind. Immer mehr, vor allem junge Lohnabhängige scheuen, auf der Suche nach einer schärferen Gangart, auch vor einer Konfrontation mit dem Staatsapparat immer weniger zurück. Etliche Büros von Parlamentsabgeordneten wurden im Umfeld der Demos von einfachen Arbeiter/inne/n verwüstet. Und auch linke Gruppierungen, die Auseinandersetzungen mit der Polizei bislang stets als kriminell und von Provokateur/inn/en ausgelöst denunziert hatten, müssen nun einräumen, dass es bei den Massendemonstrationen im Februar in vielen Städten Elemente eines spontanen Aufstandes gegeben hat.

Solche Auseinandersetzungen können natürlich eine Gesamtstrategie, insbesondere in der Machtfrage, nicht ersetzen, aber sie zeigen die vor sich gehende Zuspitzung der Situation, die in Griechenland inzwischen durchaus als vorrevolutionär bezeichnet werden kann. Die herrschende Klasse ist schwach und in der Krise, weiß keinen Ausweg und kann so nicht mehr lange weitermachen. Die „Mittelschichten" sind voll von Hass auf die Herrschenden und gegenwärtig überwiegend auf der Seite der Lohnabhängigen.

Die Arbeiter/innen/klasse selbst will sich dem Diktat von Troika und Regierung nicht unterwerfen. Die Lohnabhängigen haben in den letzten zwei Jahren eine enorme Kampfbereitschaft und Entschlossenheit gezeigt. Trotz der verheerenden Politik der Gewerkschaftsführungen und der reformistischen Parteien gab es immer neue Höhepunkte des Kampfes, ist die Arbeiter/innen/klasse bisher keineswegs demoralisiert oder geschlagen. Mehr als diese gigantischen und immer neuen Mobilisierungen kann vom griechischen Proletariat nicht verlangt werden. Dass sich die Kämpfe bisher nicht weiter entwickelt haben, liegt nicht an den Lohnabhängigen und ihrer Kampfbereitschaft, sondern am Fehlen einer in der Arbeiter/innen/klasse und insbesondere den Betrieben verankerten revolutionären Organisation.

Führungskrise

In Perioden einer stabilen Herrschaft der Kapitalist/inn/enklasse kann auch die beste revolutionäre Organisation nur relativ geringe Fortschritte erreichen. In zugespitzten Phasen kann hingegen revolutionären Kräften und oftmals einer Führungsgruppe, auch wenn sie zuvor deutlich minoritär war, entscheidende Bedeutung zukommen. Für die heutige Situation in Griechenland gilt: Die Krise der Arbeiter/innen/bewegung und der ganzen Gesellschaft ist letztlich eine Krise der revolutionären Führung. Die größeren Strömungen der griechischen Linken erfüllen allesamt nicht die Funktion, die die Arbeiter/innen/klasse heute so dringend benötigen würde.

In der griechischen Gesellschaft gibt es eine deutliche Radikalisierung nach links (nur eine kleine Minderheit geht nach rechts). Nach Meinungsforschungen findet ein immer größerer Teil der Bevölkerung „Sozialismus" (was immer darunter konkret verstanden wird) besser als Kapitalismus. Anfang 2012 ergaben Umfragen, dass bei Wahlen 40% derjenigen, die noch wählen gehen wollten, für Kräfte links von PASOK stimmen würden, also für KKE, SYRIZA, DIMAR oder ANTARSYA. All diese Kräfte sind allerdings, in unterschiedlichem Ausmaß, keine brauchbare Führung für die kämpfende Arbeiter/innen/klasse.

DIMAR (Dimokratiki Aristera, also Demokratische Linke) ist ein durch und durch bürgerliches Projekt. Es handelt sich um eine Rechtsabspaltung von SYRIZA, eine Gruppe für Bürokrat/inn/en, die sich in Richtung PASOK bewegt haben, bevor diese völlig zu kollabieren begann. DIMAR hat de facto keinerlei Organisationsstrukturen oder eine organisierte Basis, sondern stützt sich ausschließlich auf die freundliche Werbung durch viele bürgerliche Medien. Auf diese Weise gelingt es DIMAR, enttäuschte PASOK-Anhänger/innen und -Funktionäre/Funktionärinnen, die ein bisschen nach links gehen, aber Berührungsängste mit den „Kommunist/inn/en" von KKE und SYRIZA haben, anzusprechen und ziemlich gute Umfrageergebnisse zu erreichen. Auf dieser Basis könnte DIMAR leicht ins nächste Parlament kommen, aber durchaus auch ein konjunkturelles Phänomen bleiben. Von den bürgerlichen Kräften wird DIMAR deshalb gepusht, weil eine weitere Linksentwicklung so zumindest vorübergehend abgefangen und mit dieser Formation eine zusätzliche bürgerliche Regierungsoption geöffnet werden soll. DIMAR ist zwar gegen das Memorandum von Februar, ist aber dem Euro verpflichtet und will die Troika um mehr „Entwicklungsfonds" bitten – Positionen, die mit einer Teilnahme an einer bürgerlichen Regierung durchaus vereinbar sind.

SYRIZA ist ein linksreformistisches Wahlbündnis rund um die ehemals eurokommunistische Synaspismos. Außerdem beteiligen sich (ex-) maoistische Strömungen wie KOE oder Kokkino sowie Organisationen aus trotzkistischer Tradition wie DEA oder Marxistiki Foni (Schwesterorganisation des Funke in Österreich/Deutschland); die SLP/SAV-Schwesterorganisation Xekinima hat SYRIZA zuletzt wieder verlassen, mit weniger Leuten als beim Eintritt. SYRIZA hat einigen Einfluss unter Studierenden und in Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (Lehrer/innen, Verwaltung...), aber kaum eine organisierte Verankerung in den Kernschichten der Arbeiter/innen/klasse und insgesamt schwache Organisationsstrukturen. Auf Demonstrationen hat SYRIZA meist keine eigenen Kontingente, lediglich die SYRIZA-Jugendorganisation tritt oft mit einem eigenen Block auf, der aber mit maximal ein paar Hundert Leuten nicht stärker ist als der von kleineren linksradikalen Organisationen. Die Unterstützung für SYRIZA ist so vor allem eine elektorale, und auf Wahlen orientiert ist auch die Politik von SYRIZA. In der gegenwärtigen Krise nahm SYRIZA eine ausgesprochen lahme Linie ein: Statt eine Schuldenstreichung schlug sie ein dreijähriges Einfrieren der Rückzahlungen vor, statt Klassenkampf favorisierte sie eine „patriotische Einheit gegen die ausländische Besetzung", als eine Art Rat an die herrschende Klasse ist SYRIZA für Neuverhandlungen mit der Troika „zum Wohle des Landes".

Die KKE ist die traditionelle Partei der griechischen Arbeiter/innen/klasse. Von Mitte der 1920er bis Mitte der 1930er Jahre wurde sie in dieser Rolle von den Trotzkist/inn/en herausgefordert, während der Militärjunta von den Eurokommunist/inn/en, der KKE-esoterikou (der Vorläuferorganisation von Synaspismos). Im Widerstand gegen die faschistischen Besatzer/innen und nun wieder seit gut 30 Jahren dominiert die KKE in den Kernschichten des griechischen Proletariats, bei den Schiffs- und Hafenarbeiter/innen, in der traditionellen Industrie und am Bau. Die KNE, die Jugendorganisation der KKE, hat starken Einfluss unter Schüler/inne/n. Insgesamt sind KKE und KNE sehr straff organisiert. Ihre meistens eigenständigen Demos hatten, während die Größe der anderen gewerkschaftlichen und linken Demos stark variierte, in den letzten Monaten eine leicht wachsende, aber insgesamt sehr stabile Teilnehmer/innen/zahl von 70.000 bis 100.000; wenn die Parteiführung ruft, kommen die KKE-Mitglieder und -Sympathisant/inn/en verlässlich.

In der aktuellen Krise schlägt die KKE durchaus radikalere Töne an als SYRIZA (und als DIMAR sowieso): Sie fordert eine Streichung der Schulden und einen Plan zur Neuorganisierung und sozialen Veränderung der Gesellschaft. Verbunden ist das allerdings nicht mit einer klaren sozialistischen oder Klassenkampfperspektive, sondern mit einem diffusen Konzept von „Volksmacht", also einer Art Bündnis zwischen Arbeiter/innen/klasse und Kleinbürger/innen/tum auf einer klassenunspezifischen Basis, eine Fortsetzung des alten stalinistischen, klassenübergreifenden Volksfront-Konzeptes. Außerdem wirbt die KKE mit dem Slogan „Raus aus der EU", ohne ihn in einen Zusammenhang mit der Forderung nach vereinigten sozialistischen Staaten von Europa zu stellen; da schimmert doch deutlich das alte stalinistische Konzept vom „Sozialismus in einem Land", die Vorstellung, dass eine geplante Ökonomie in einem einzelnen Land überleben könne, durch.

Und schließlich nimmt die KKE gegenüber der restlichen Arbeiter/innen/bewegung eine ausgesprochen sektiererische Haltung ein: Das betrifft etwa die fast immer getrennten Aufmarsche von KKE/PAME, die die Bewegung spalten. In ihrer Selbstdarstellung als patriotische Partei des griechischen Volkes suchte und sucht die KKE auch immer wieder Bündnisse mit anti-neoliberalen bürgerlichen oder sogar reaktionären Kräften, vor einigen Jahren etwa mit EU-feindlichen Kräften der griechisch-orthodoxen Kirche. Aktuell zeigt sich das im Zuge der Besetzung des Stahlwerkes westlich von Athen, die von KKE/PAME angeführt wird: Während die KKE anderen Organisationen mit kommunistischem Anspruch Solidaritätsauftritte im oder vorm Werk verwehrte, ließ sie die gegen die EU orientierten Neonazis der Chrisi Avgi Hilfspakete verteilen und vor den Arbeiter/inne/n sprechen. Bündnisangebote von SYRIZA weist die KKE zurück, wobei sie sich angesichts der weichen Politik von SYRIZA mit dem Verweis auf deren Reformismus gegenwärtig recht leicht tut. Bei der Zuspitzung der Bewegung im Oktober 2011, einem der wenigen Fälle, wo KKE/PAME/KNE an der zentralen Kundgebung am Syntagma-Platz teilnahmen, schützten sie – mit dem Rücken zu den MAT-Spezialpolizisten, die inzwischen gemütlich Zigaretten rauchten – das Parlament vor Anarchist/inn/en, anderen radikalen Linken und Unorganisierten. Die tausenden KKE/KNE-Ordner mit ihren Schlagstöcken sind kein Schutz der Demonstrationen gegen die staatlichen Übergriffe, sondern eine Hilfspolizei des Staates.

Links von den reformistischen Kräften SYRIZA und KKE befinden sich einerseits die in den letzten Jahren gestärkte anarchistische Szene, andererseits verschiedene Organisationen der radikalen Linken mit marxistischem Anspruch. Bei den Anarchist/inn/en handelt es sich um ein heterogenes Milieu, das rund um Klubs, Zeitschriftenprojekte oder ähnliches strukturiert ist. Die Polizei schätzt, dass die Zahl der anarchistischen Aktivist/inn/en in Athen von der Jugendrevolte Ende 2008 bis Ende 2011 von etwa 800 auf gut 2.000 angestiegen ist. In Demonstrationen sind die Anarchist/inn/en oft sehr gut organisiert, viele von ihnen sind militant und auf Konfrontationen mit dem Staatsapparat ausgerichtet. Etliche von ihnen haben einen positiven Bezug auf die (stalinistisch geführte) Partisan/inn/enarmee ELAS. Die meisten Anarchist/inn/en haben keine Ausrichtung auf die Arbeiter/innen/klasse, nur wenige sind syndikalistisch tätig. Viele von den Anarchist/inn/en sind zweifellos mutige und ehrliche Revolutionäre, sie haben aber für die Bewegung keine Perspektive anzubieten. Sie haben keine Antwort auf die Machtfrage (sind sie doch in der Regel gegen jeder Art von „Herrschaft", also auch gegen eine Machtübernahme durch die organisierte Arbeiter/innen/klasse. Und ihre Aktionsformen haben oft etwas Abgehobenes und Elitäres, das sie von der Masse der Lohnabhängigen isoliert.

In Griechenland gibt es auch etliche Organisationen mit marxistischem und revolutionärem Anspruch. Die zuletzt größte Strömung ist das Bündnis ANTARSYA, das bei den Regionalwahlen 2010 immerhin 1,8% der Stimmen erreichte. Daran beteiligen sich die NAR, eine Linksabspaltung der KKE von 1989, die maoistischen Gruppierungen EKKE und ARAN sowie Organisationen mit trotzkistischem Anspruch, nämlich die SEK (Schwesterorganisation von Linkswende bzw. Marx21) und die OKDE-Spartakos (Schwesterorganisation von SOAL bzw. ISL/RSB). ANTARSYSA hat zuletzt aber deutlich an Dynamik verloren, vor allem auch, weil es unter den teilnehmenden Organisationen Uneinigkeit darüber gibt, ob es sich um ein Bündnis der revolutionären Linken handeln soll oder ob es sich für reformistische Kräfte verbreitern soll. Die eigenständig agierenden maoistischen Gruppierungen KKE-ML und ML-KKE sind verknöchert und isoliert; Stalin-Fans sind in Griechenland auch mit der KKE gut bedient.

Außerhalb von SYRIZA und ANTARSYA gibt es einige weitere Organisationen mit trotzkistischem Anspruch, etwa die EEK, die stark auf eine Kooperation mit den Anarchist/inn/en setzt, neuerdings eben auch eine geschwächte Xekinima, die wieder eigenständig zu agieren beginnt, oder die OKDE-Ergatiki Pali, die auf eigenständigen Aufbau und Kandidaturen setzt, in Thessaloniki ihre Hochburg hat, aber auch in Athen in den größten Mobilfunkfirmen die Betriebsratsvorsitzenden stellt, in lokalen Arbeiter/innen/komitees arbeitet und zuletzt angewachsen ist. Damit kann insgesamt gesagt werden, dass die gesellschaftliche Situation in Griechenland und die Kampfbereitschaft der Arbeiter/innen/klasse weit in vorangeschritten sind, dass aber die Organisationen der Linken demgegenüber weit zurück geblieben sind. Die größeren Parteien oder Bündnisse sind reformistisch und würden die Lohnabhängigen nur in ein Desaster führen, ANTARSYA ist konfus, und die kleineren Organisationen aus trotzkistischer Tradition, die offen den Aufbau einer revolutionären Partei propagieren, sind momentan noch relativ wenig verankert.

Wege aus der Krise

Die zentrale Aufgabe, vor der die politisch bewussten Teile der Arbeiter/innen/klasse heute in Griechenland stehen, ist der Aufbau einer im Proletariat verankerten revolutionären Partei. Wenn das nicht rechtzeitig gelingt, werden KKE, SYRIZA und andere die Klassenkampfbewegung mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Niederlage führen, wie es solche reformistische Kräfte schon so oft und konkret auch die KKE bereits getan haben/hat. Eine solche Partei kann aber nicht einfach proklamiert werden. Sie muss in Kämpfen das Vertrauen der Lohnabhängigen erwerben und sie muss eine richtige politische Linie haben.

Offensichtlich ist, dass die ein- oder zweitägigen Generalstreiks nicht ausreichen, um die Angriffe abzuwehren. Es wird längere Streiks, vermutlich einen unbefristeten Generalstreik, brauchen, damit die Arbeiter/innen/klasse ihre Ziele durchsetzen kann. Dabei wird aber auch ein ausschließlich defensives Programm, also eine Beschränkung auf ein Nein zu den Kürzungen, nicht genügen. Denn schließlich befindet sich die griechische Gesellschaft in einer tiefen Krise, und darauf brauchen die marxistischen Kräfte eine positive Antwort. Eine solche Antwort muss aus mehreren Teilen bestehen:

Ein wichtiges Element ist sicherlich die ersatzlose Streichung der griechischen Staatsschulden, sowohl bei den griechischen als auch bei den ausländischen Banken, und die Aufhebung aller Auflagen der Troika. Die Troika und ihre „Gauleiter" in den Ministerien müssen hinausgeworfen werden. Die Geschäftsbücher aller Banken und Konzerne müssen geöffnet werden, damit die Lohnabhängigen Einblick in ihre Machenschaften bekommen. Die griechischen Banken und all die Firmen und Kapitalist/inn/en, die Steuern hinterzogen oder Geld im Ausland versteckt haben, müssen entschädigungslos enteignet und verstaatlicht werden – und zwar unter Kontrolle der Beschäftigen und der Arbeiter/innen/klasse insgesamt. Und ein demokratischer Plan ist notwendig, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und sie im Interesse der Lohnabhängigen und des Gemeinwohls (und nicht der Finanzmärkte) neu aufzubauen.

All das bedeutet natürlich einen Bruch mit den Marktgesetzen und dem so genannten „Eigentumsrecht" der Kapitalist/inn/en. Das wird sich die herrschende Klasse nicht widerstandslos gefallen lassen. Deshalb braucht die Arbeiter/innen/klasse zur Durchsetzung dieses Programms, das der einzige Ausweg aus der Misere ist, entsprechende Organisationsformen. Eine zentrale Rolle wird dabei die Selbstorganisation der Arbeiter/innen/klasse in den Betrieben und Wohnvierteln spielen – das können Streikkomitees sein, die in den letzten Monaten entstandenen lokalen Komitees oder andere räteähnliche Strukturen. Sie sind die Basis für die organisatorische Einbeziehung der Masse der Lohnabhängigen in den revolutionären Prozess.

Zusätzlich wird es notwendig sein, dass sich die Bewegung Strukturen schafft, mit denen sie sich gegen Übergriffe der Spezialpolizei MAT oder von Faschist/inn/en sowie gegen eine mögliche Putschgefahr durchsetzen kann. Eine Revolution ist nicht eine Linksregierung aus reformistischen Parteien, die den reaktionären Staatsapparat zu kommandieren versucht. Eine Regierung aus KKE und SYRIZA, wie sie von manchen Linken gefordert wird, wäre eine Sackgasse für die Klassenkampfbewegung, sie bliebe auf dem Boden des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates. Was vielmehr notwendig ist, ist eine Arbeiter/innen/regierung, die sich auf die Komitees/Räte und die Milizen der Bewegung (und eventuell gegen ihre Führung rebellierende Soldaten) stützt und den bürgerlichen Staatsapparat zerschlägt.

Um eine Entwicklung in diese Richtung voranzutreiben, ist eine revolutionäre Partei ganz zentral. Klar ist aber auch, dass die Revolution, wenn sie auf Griechenland beschränkt bleibt, mit dem Rücken zur Wand stehen wird. Sie wird nicht nur mit dem Widerstand der eigenen (schwachen) Bourgeoisie konfrontiert sein, sondern auch mit dem der europäischen Kapitalist/inn/enklassen und ihrer Instrumente (EU, EZB, Armeen) sowie des IWF und der NATO, die womöglich die „türkische Karte" spielen, nämlich über die türkischen Generäle einen Grenzzwischenfall und einen militärischen Konflikt lostreten könnten. Die einzigen möglichen Verbündeten für die griechische Revolution sind die Lohnabhängigen in anderen Ländern. Deshalb sind für griechische Revolutionäre der Internationalismus und die Verbindung zu Arbeiter/innen/kämpfen und -organisationen in anderen Ländern der EU und darüber hinaus ganz entscheidend. Forderungen nach einem Bruch mit der EU und ihren Diktaten dürfen keine nationalistische Schlagseite bekommen, sondern müssen mit einer Ausrichtung auf vereinigte sozialistische Staaten von Europa verbunden sein

 

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