März 2013
In Österreich beschloss die SPÖ-ÖVP-Bundesregierung Anfang 2012, dass bei den Spitälern massiv gekürzt werden soll: Bis 2016 werden den Krankenhäusern allein vom Bundesbudget her um 1,4 Milliarden Euro weniger zur Verfügung stehen. Zusätzlich sollten die Länder 2,1 Milliarden einsparen. Damit waren die Länder in Zugzwang und reagierten entsprechend: Allein in Wien sollte im Gesundheitsbereich eine halbe Milliarde Euro eingespart werden. SPÖ-Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely behaupte allen Ernstes, dass es dabei "keine Leistungskürzungen" geben werde. Real wurde die Schließung von sechs Spitälern eingeleitet, was die Versorgung verschlechtert und Beschäftigte Jobs kostet. In den anderen Krankenhäusern kündigte sich ein steigender Zustrom und eine noch größere Überlastung der Beschäftigten an.
Gegen diese Kürzungspolitik entwickelte sich Widerstand der Beschäftigten des Gesundheitssektors. Dieser Widerstand fand oftmals auf Länderebene statt, da die Dienstgeber ja in vielen Fällen die Länder beziehungsweise die Gemeinde Wien waren/sind. Nach Protesten in Wien im September 2011 und Oberösterreich im Winter 2011/12 spitzte sich im Herbst 2012, also nach dem Regierungsbeschluss über die Einsparungen bei den Spitäler, der Konflikt um Lohnabschlüsse für Gemeinde-, Landes- und Bundesbedienstete im allgemeinen und für Krankenhausbeschäftigte im besonderen noch stärker zu.
Vielerorts versuchten die Landesregierungen Nulllohnrunden, also Reallohnverluste, durchzusetzen. Etwa für eine diplomierte Krankenschwester mit einem Monatsverdienst von 1.978 Euro würde eine einzige solche Nulllohnrunde, auf die nächste zehn Jahre gerechnet, einen Verlust von 6.064 Euro bringen. Die Führungen der GdG (Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, SPÖ-dominiert) und auch der GÖD (Gewerkschaft öffentlicher Dienst, ÖVP-dominiert, zuständig für die Bundesbediensteten) stimmten diesen Nulllohnrunden erst einmal zu. Allerdings entwickelte sich in etlichen Bundesländern Widerstand an der Basis.
In Wien hatten bereits im Sommer 2012 die KIV (Konsequente Interessensvertretung, links-grüne Fraktion in der GdG) und die mit ihr verbundene Fraktion der "Unabhängigen Gewerkschafter/innen" (UG) in der GÖD eine Kampagne gegen die Nulllohnrunde im öffentlichen Dienst begonnen: "Null Bock auf Nulllohnrunden". Mehr als die Hälfte der Gemeindebediensteten in Wien und auch viele Mitglieder der GÖD haben entsprechende Unterschriftenlisten unterzeichnet.
Unter dem Druck dieser Kampagne haben sich in vielen großen Wiener Gemeindebetrieben auch die SPÖ-dominierten Personalvertretungen gegen eine Nulllohnrunde ausgesprochen. Hochburgen des Basiswiderstandes waren etwa die Wiener Bäder oder Krankenhäuser wie das SMZ Ost oder das Geriatriezentrum am Wienerwald. Auch bei den Verkehrsbetrieben und den Kindergärten gab es ordentlichen Protest. Zur widerständigen Stimmung an der Basis beigetragen haben auch Organisationen wie die ARKA (Organisation arbeiter/innen/kampf), die regelmäßig in Wiener Krankenhäusern intervenierten und selbst Kampagnen gegen die Nulllohnrunde führten.
Durch den Erfolg der KIV in Wien aufgeschreckt, wurde nun auch die FCG (ÖVP-nahe Fraktion christlicher Gewerkschafter/innen) aktiv - und so positionierten sich sogar die GdG Vorarlberg und andere FCG-dominierte Personalvertretungen unter dem Druck der Beschäftigten gegen die Nulllohnrunde. Und auch die sozialdemokratische GdG-Führung in Wien konnte ihre Position angesichts des Aufruhrs an vielen Dienststellen immer weniger aufrechterhalten. So hat sich die Hauptgruppe II (also der Teil der GdG, der für die Wiener Krankenhäuser zuständig ist) in der Oktoberausgabe ihre Zeitschrift "Für Dich" zur Nulllohnrunde nicht festgelegt, Ende Oktober erklärte sie dann aber - unter dem Druck der Beschäftigten in vielen Spitälern -, dass die gegen die Nulllohnrunde sei, forderte eine Inflationsabgeltung und drohte sogar mit einem "Aufstand".
Für diesen Beschluss hatten aber offenbar einige Funktionäre der Hauptgruppe II die Abwesenheit ihres Vorsitzenden Bernhard Harreither ausgenutzt. Kaum war Harreither wieder zurück, haben er, GdG-Vorsitzender Meidlinger und die Wiener Stadtregierung offenbar derart Druck gemacht, dass der Beschluss wieder von der Homepage verschwand. Und Meidlinger, der als Gemeinderat immerhin 6.528 Euro kassiert, fuhr von Dienststelle zu Dienststelle, um den Nulllohnrundenbeschluss zu verteidigen. Allerdings war die Empörung der Beschäftigten weiterhin so groß und nahmen die Gewerkschaftsaustritte derart zu (mehr als nach der BAWAG-Krise), dass Meidlinger & Co. ihren Kurs der völligen Unterwerfung unter die Wünsche der SPÖ-Parteiführung nicht mehr durchhalten konnten. Angeblich hat Meidlinger schließlich einen Brief an Bundeskanzler Werner Faymann geschrieben, in dem er flehentlich bittet, doch etwas zu tun, weil die GdG-Führung den Druck von unten nicht mehr lange aushalte.
In Vorarlberg, wo die Spitalsmanager/innen die Abwanderung von qualifiziertem (Pflege-) Personal in die Schweiz fürchten, konnte eine Nulllohnrunde schließlich als erstes abgewendet und immerhin eine Lohnerhöhung von 1,8% durchgesetzt werden. In Salzburg demonstrierten am 3. Dezember etwa 4.000 Gemeindebedienstete für Lohnerhöhungen. Die Kolleg/inn/en des Landeskrankenhauses und der Christian-Doppler-Klinik zogen in die Stadt und trafen sich auf der Staatsbrücke mit den Beschäftigten der Verwaltung, der Straßenmeisterei und des Wirtschaftshofes. Es ging weiter zum Sitz der Landesregierung, wo noch die Kolleg/inn/en des Klinikums St. Veit dazukamen.
Organisiert wurde der Demonstration von den Betriebsräten beziehungweise den Personalvertretungen, während sich die Gewerkschaftsführung gegen die Proteste stellte und den Kolleg/inn/en die Streikfreigabe verweigerte. Offiziell handelte es sich deshalb um "öffentliche Betriebsversammlungen". Die Stimmung war laut und kämpferisch. Es sprachen die Betriebsräte. Als sich Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) und ihr Stellvertreter Wilfried Haslauer (ÖVP) endlich zeigte, wurden sie ausgebuht und zogen sich schnell wieder zurück. Unter dem Druck der protestierenden Belegschaften erhöhte die Landesregierung die Summe für eine so genannte "Einmalzahlung" (die weder ins Gehaltschema eingeht noch pensionswirksam ist) von drei auf über acht Millionen Euro.
Und auch die GdG-Spitze in Wien reagierte auf den Druck der Beschäftigten. Noch im Dezember wurde mitgeteilt, dass es ab Jänner nun doch Verhandlungen mit der Wiener Stadtregierung bezüglich der Nulllohnrunde geben sollte. Dann passierte offenbar zwei Monate nicht viel - zumindest wurde nicht viel über die Gespräche zwischen GdG und Bürgermeister, also innerhalb des engsten Führungskreises der SPÖ Wien, bekannt. Offensichtlich ging es auch darum, die Verhandlungen etwas zu verschleppen, um die Protestbewegung gleichzeitig zu vertrösten ("es gibt ja Verhandlungen") und ein bisschen auslaufen zu lassen. Am 7. März verkündete die GdG-Führung stolz, dass Wien soziale Verantwortung gezeigt habe: In der Verhandlungen sei eine Lohnerhöhung von 35 Euro (schemawirksam) erreicht worden. Und, wohl um klarzustellen, dass darüber keine Debatte in den Dienststellen mehr gewünscht ist, wurde gleich hinzugefügt, dass der Vereinbarung bereits unterschrieben ist. Urabstimmung unter den Betroffenen gab es keine.
Zeitgleich mit den Kämpfen bei den Gemeindebediensteten gab es auch noch die beiden Streiktage in den oberösterreichischen Ordensspitälern, wo die Beschäftigten gegen einen Lohnabschluss unter der Inflationsrate kämpften. Es konnten dabei immerhin kleine Verbesserungen herausgeholt werden. Und es gab, eine Seltenheit bei der Politik der österreichischen Gewerkschaftsbürokratie, sogar eine Urabstimmung über das Ergebnis (siehe eigenen Artikel).
Dass das Gesundheitswesen zuletzt ein Bereich war, wo es viele Arbeitskämpfe gab, ist kein Zufall. Dieser Sektor war von einer Kürzungs- und Einsparungspolitik besonders betroffen. Außerdem gab es in den Pflegeberufen kritische Teile der Belegschaften und darüber hinaus kämpferische Kräfte, die in den Spitälern präsent sind.
Die Ergebnisse der Proteste waren bisher mäßig. Aber überall, wo es nennenswerten Widerstand gab, also in Salzburg, Wien und Oberösterreich, mussten die Landesregierungen gewisse Zugeständnisse machen, konnten kleine Verbesserungen erreicht werden - wobei überall mit einer konsequenten Kampfführung weit mehr möglich gewesen wäre. Und überall war sichtbar, dass die Basis der Beschäftigten in der Lage ist, ihre Gewerkschaftsvertretungen unter Druck zu setzen. Wichtig war auch, dass Streiks in Krankenhäusern nun kein Tabu mehr sind. Das wird für die Zukunft Bedeutung haben, denn im Gesundheitsbereich stehen weiterhin Lohndruck, Einsparungen und Arbeitszeitverdichtung auf der Tagesordnung der Herrschenden.