Vor 65 Jahren: Revolution in Griechenland

 

19. Dezember 2009

Im Dezember 1944 kam es zu wochenlangen Kämpfen um Athen. Auf der einen Seite stand die Partisan/innen/bewegung ELAS, die das Land von den faschistischen Besatzern befreit hatte, auf der anderen standen britische Invasionstruppen und ihre rechtsextremen Helfer. Es war der Höhepunkt einer revolutionären Entwicklung in Griechenland.

In Griechenland hatte sich während des Zweiten Weltkrieges, relativ gesehen, europaweit die stärkste linke Widerstandsbewegung gegen die NS-Besatzung entwickelt. Das Ergebnis war, dass die Arbeiter/innen/bewegung am Ende des Weltkrieges nirgends sonst so nah an einer Machtübernahme stand wie in Griechenland. Nach dem Abzug der Wehrmacht im Oktober 1944 befanden sich vier Fünftel des Landes in der Hand der von der stalinistischen KKE geführten „Nationalen Befreiungsfront" EAM und ihrer Armee ELAS.

Nach verschiedenen Angaben hatte die ELAS zwischen 40.000 und 100.000 Kämpfer/innen, die EAM zwischen 1,2 und 1,8 Millionen Mitglieder (bei etwas über 7 Millionen Einwohner/innen), die EAM-Jugendorganisation EPON 600.000 Mitglieder und die KKE alleine zwischen 250.000 und 500.000 Mitglieder. Besonders in der jungen Generation stand eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter EAM und ELAS. Gestützt auf diese Basis hätte die KKE zweifellos vollendete Tatsachen schaffen können, die auch eine militärische Intervention Großbritanniens kaum hätte rückgängig machen können.

Der britischen Führung um Winston Churchill freilich ging es freilich von Anfang um die Wiederherstellung ihrer Kontrolle über das im östlichen Mittelmeer wichtige Griechenland. So unterstützte die britische Armee während der faschistischen Besatzung die nationalistische, mit der Wehrmacht kooperierende „Widerstandsorganisation" EDES gegen EAM/ELAS. Die britische Kolonialverwaltung in Ägypten löste dort stationierte, aber von Linken dominierte griechische Truppenteile auf und schickte die Aktivisten in Internierungslager, während sie in Ägypten royalistische rechtsextreme griechische Truppenteile zusammenstellte. Sie breitete sich in jeder Hinsicht auf einen bevorstehenden Bürger/innen/krieg in Griechenland vor, den Churchill für notwendig hielt, um die Arbeiter/innen/bewegung zu zerschlagen.

Während die britische Führung die Klasseninteressen der britischen und griechischen Bourgeoisie hervorragend vertrat, traf für die Spitzen von KKE und EAM das Gegenteil zu. Sie waren völlig verhaftet im stalinistischen Konzept der Volksfront, das eine „nationale Einheit" mit den angeblich „antifaschistischen" Teilen der Bourgeoisie und ein Bündnis mit den „demokratischen Alliierten" der Sowjetunion vorsah. Dementsprechend trat die EAM mit dem „Libanonvertrag" im Mai 1944 als Juniorpartner in eine „Regierung der nationalen Einheit" ein, in der einige bürgerliche Politiker von Churchills Gnaden, die in Griechenland keine Basis hatten, den Ton angaben. Im September 1944 wurden mit dem Vertrag von Caserta die ELAS-Kämpfer/innen dem General der britischen Landungstruppen unterstellt.

Die ELAS akzeptierte in der Folge, dass die abziehende Nazi-Wehrmacht ihre griechischen Kollaborationstruppen landenden britischen Einheiten übergab. Von der britischen Armee wurden diese griechischen Faschisten der so genannten „Sicherheitsbataillone" reorganisiert und in die neue griechische Armee und Polizei eingebaut. In Athen schließlich wurden die britischen Verbände von EAM und KKE als vermeintliche Verbündete mit Jubelkundgebungen begrüßt. Während die ELAS in den nördlichen Landesteilen die zurückweichende Wehrmacht bekämpfte, gab Churchill seinen Offizieren die Order aus „nicht die Deutschen bekämpfen, sondern die Kontrolle über Athen herstellen".

Als unter der Kontrolle der britischen Armee und der griechischen Regierung der „nationalen Einheit" die von ihre geförderten Einheiten von ehemaligen NS-Kollaborateuren und rechtsextremen Royalisten immer systematischer die Anhänger/innen der Linken überfielen, zusammenschlugen, ermordeten, Büros verwüsteten, EAM-Aktivistinnen vergewaltigten, reagierten die Führungen von EAM und KKE weiter defensiv. Von Teilen der eigenen Basis und vom populären ELAS-Führer Aris Velouchiotis kam aber Widerstand gegen die von den Briten verlangte Auflösung der ELAS.

Am 3. Dezember 1944 gab es schließlich eine Massendemonstration mit 500.000 Teilnehmer/innen gegen den rechten Terror und die Auflösung der ELAS. Die Kundgebung von der rechtsextremen Polizei mit Duldung der britischen Armee angegriffen, Dutzende EAM-Sypathisant/inn/en erschossen und Hunderte angeschossen. Als nun die ELAS-Einheiten begannen, gegen die griechischen rechtsextremen Polizei- und paramiliärischen Kräfte vorzugehen, griff die britische Armee zu deren Hilfe ein. Churchill schrieb an seine Generäle: „Zögern sie nicht zu handeln, als befänden Sie sich in einer eroberten Stadt, in der eine lokale Rebellion ausgebrochen ist."

Während von der italienischen Front – immerhin war der Zweite Weltkrieg ja noch voll im Gange – in aller Eile weitere britische Truppen nach Griechenland geschickt wurden, gab die Führung von KKE und EAM die Anweisung aus, nur gegen die griechischen Faschisten, nicht aber gegen die britischen Truppen vorzugehen. Immer noch klammerten sich die griechischen Stalinist/inn/en an ihr ersehntes „antifaschistisches" Bündnis mit dem britischen Imperialismus! Die günstigsten Phasen für eine Offensive wurden so versäumt. Obwohl dann die verstärkte britische Armee systematisch ELAS-Stellungen angriff, wurden die kampferprobten ELAS-Divisionen in Roumeli und Thessalien tagelang nicht nach Athen/Attika beordert und so weiter wertvolle Zeit verloren.

Trotz der halbherzigen Führung des Kampfes durch die KKE dauerte die Schlacht um Athen mehrere Wochen, bis Anfang Januar 1945. Die Aktivist/inn/en der Arbeiter/innen/bewegung lieferten der britischen Armee erbitterte Straßen- und Häuserkämpfe. Der bürgerliche Historiker Hagen Fleischer spricht von einem „Inferno von Blut, Hass und Tapferkeit". Letztlich aber konnte der Heroismus der Athener Arbeiter/innen/klasse nicht das unbrauchbare politische Konzept der KKE ausgleichen. Die britische Armee und ihre rechtsextremen Schergen übernahmen Anfang Januar 1945 die Kontrolle über die griechische Hauptstadt.

Bei den Kämpfen sind etwa 12.000 ELAS-Kämpfer/innen getötet oder verwundet wurden. 8.000 Linke wurden in britische Lager in Nordafrika deportiert, weitere 4.000 in Griechenland eingekerkert. Die Organisationen der Arbeiter/innen/bewegung in Athen und Piräus waren zerschlagen. Die griechischen rechten Truppen hatten im Kampf um Athen 1.500 Mann verloren, die britische Armee etwa 850, die rechtsextremen Verbände einige Tausend Kämpfer.

Am Höhepunkt der britischen Intervention standen 75.000 britische Soldaten in Griechenland, davon allein 25.000 im Raum Athen. Während der wochenlangen Kämpfe hatte die britische Luftwaffe tagsüber pausenlos ELAS-dominierte Viertel und Straßen nach Athen bombardiert. Auch die US-Luftwaffe soll im Dezember 1944 täglich 2.500 Bomben – statt auf die Schienenwege in die NS-Konzentrationslager – auf die proletarischen Stadtteile von Athen abgeworfen haben. Während der Nazi-Faschismus in Mitteleuropa weiter wütete, während beispielsweise Auschwitz weiter (bis zur Befreiung Ende Januar 1945) auf Hochbetrieb „arbeitete", war für die „demokratische" britische Führung der „Kampf gegen den Kommunismus" in Griechenland nur zu offensichtlich prioritär gegenüber einem schnelleren Zurücktreiben der Wehrmacht in Italien.

Die sowjetische Führung leiste den Kämpfer/innen in Griechenland keinerlei Hilfe, nicht einmal verbal. Churchill bemühte sich auch geschickt um die anhaltende sowjetische Zurückhaltung, indem er die Intervention der britischen Streitkräfte gegen die ELAS – mit einem komplizenhaften Grinsen in Richtung Stalin – als Kampf gegen den „triumphierenden Trotzkismus" bezeichnete. Zum Nachteil der griechischen Arbeiter/innen/bewegung hatten KKE, EAM und ELAS freilich keine trotzkistische Ausrichtung, keine klassenkämpferische Linie, die statt einer Zusammenarbeit mit Bourgeoisie und Imperialismus konsequent und gestützt auf die Selbstorganisation des Proletariats in Richtung Aufstand und soziale Revolution gegangen wäre. Churchill hat lediglich, taktisch geschickt, jede inkonsistente Linkswendung der KKE sofort als Trotzkismus gebrandmarkt, um die sowjetische Zurückhaltung zu sichern.

Und tatsächlich hielt sich Stalin an das Moskauer Geheimabkommen mit Churchill, in dem er dem britischen Imperialismus als Gegenleistung für die Kontrolle über Rumänien und Bulgarien die Herrschaft über Griechenland zugesichert hatte. Von diesem Abkommen von Oktober 1944 waren die Führungen von KKE und EAM nicht informiert worden. Und Churchill konnte angesichts der Dezember-Kämpfe um Athen zufrieden feststellen: „Stalin hingegen hielt sich streng und getreu an unsere Oktober-Vereinbarung, und in all den Wochen, die die Straßenkämpfe in Athen andauerten, kam kein Wort des Vorwurfs von der Prawda und der Iswestija."

Das stalinistische Konzept des „Sozialismus in einem Land" ordnete die Arbeiter/innen/bewegungen der anderen Länder den bornierten außenpolitischen Interessen der Sowjetbürokratie unter. Die Kämpfer/innen von EAM und ELAS wurden folgerichtig dem „demokratischen Verbündeten" Großbritannien ans Messer geliefert. Gleichzeitig wurden von der stalinistischen Geheimpolizei OPLA, die von der KKE-Führung unterhalten wurde, von November 1944 bis Januar 1945 hunderte Trotzkist/inn/en und EAM-Mitglieder, die gegen die Kapitulation aufbegehrt hatten, ermordet.

Aber auch nach der Niederlage in Athen kontrollierte die ELAS weiter über 60% des Landes. Sie verfügte über sechs intakte Divisionen mit 40.000 Partisan/inn/en und über die Unterstützung in der großen Mehrheit der Bevölkerung. Es wäre – mit einer richtigen Politik – durchaus möglich gewesen, in Nordgriechenland eine Gegenregierung auszurufen und im Süden erneut einen Untergrundkampf gegen die britischen Besatzer und ihre Kollaborateure zu beginnen.

Die KKE-Führung brachte den politischen Irrsinn ihrer Ausrichtung zu einem vorläufigen Ende und unterschrieb den berüchtigten Vertrag von Varkiza. In dieser gänzlichen Kapitulation wurde – für diffuse Versprechen einer „demokratischen Beteiligung" – die Entwaffnung der ELAS im ganzen Land festgelegt und damit auch die restlichen Landesteile dem rechtsextremen Terror ausgeliefert. Zehntausende wurden von der rechtsextrem dominierten Justiz und Polizei verfolgt, Hunderttausende misshandelt, schikaniert, bedroht, vergewalitigt. Für zehntausende Aktivist/inn/en von EAM, KKE und ELAS war der Varkiza-Vertrag ein Schock und ein Trauma.

Für das Desaster von Libanon bis Varkiza trägt nicht die griechische Massenbewegung die Verantwortung. Die griechische Arbeiter/innen/klasse und die von ihren Organisationen geführten Kleinbauern/bäuerinnen haben das Maximum gegeben, was diese Klassen in ihrer Heterogenität in revolutionären Situationen geben können. Während in Zeiten der stabilen Herrschaft der Bourgeoisie Organisationen mit kommunistischem Anspruch selbst mit der besten Politik nur wenig ändern können, spielen sie in zugespitzten gesellschaftlichen Situationen die entscheidende Rolle für die weitere Entwicklung. Die KKE verspielte den entscheidenden Auftritt in ihrer Geschichte. Die Folgen für sie und die griechische Massenbewegung waren katastrophal. Mit dem nun schrittweisen Verschwinden der so genannten „Volksmacht" im bisherige „Freien Griechenland" und der Restauration des alten politischen Systems wurden die Hoffnungen breiter Teile der Bevölkerung auf eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung zerschlagen. Viele der ungezählten und namenlosen stillen Held/inn/en des Widerstandes wurden durch den Verrat von Varkiza ans Messer geliefert.

Der schlussendliche Sieg der britischen Truppen und der griechischen Rechten war nur möglich auf Grund der verheerenden Politik der griechischen stalinistischen Partei, der KKE. Welch fatale Folgen das stalinistische Konzept der Volksfront für die Arbeiter/innen/bewegung hat, wurde in der verratenen griechischen Revolution von 1944 noch viel deutlicher demonstriert als in Spanien 1936/37. Denn in Griechenland hielt die Partisan/inn/enarmee die Macht bereits in der Hand – und die KKE-Führung übergab sie freiwillig den „demokratischen Alliierten" der Sowjetunion und damit der herrschenden bürgerlichen Klasse.

Das Ergebnis des griechischen Kampfes von 1944 hatte bedeutende Auswirkungen auch auf die Nachkriegsentwicklung von Europa. Schließlich war das strategisch wichtige Griechenland, anders als Jugoslawien, im Moskauer Abkommen den westlichen Alliierten als Einflusszone zugesagt worden. Eine Machtübernahme der griechischen Arbeiter/innen/bewegung hätte die zwischen Stalin und Churchill vereinbarte Nachkriegsordnung über den Haufen geworfen und zweifellos von Moskau unabhängige und antikapitalistische Strömungen in anderen Ländern wie Italien und Frankreich angefacht – mit unabsehbaren Folgen für die europäische Nachkriegsordnung.

Denjenigen, die mehr über die griechische Revolution 1944 erfahren wollen, empfehlen wir unser Buch:

Revolution und Konterrevolution in Griechenland.

 

Entwicklung von Klassengesellschaft und Arbeiter/innen/bewegung in den letzten 100 Jahren. Griechische Linke zwischen Repression, Revolte und europäischer „Normalisierung", Marxismus Nr. 25, Juli 2005, 590

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