27.10.2015
Vor ein paar Wochen haben in Paris die Beschäftigten von Air France für Aufregung gesorgt, als sie zwei Managern die Hemden zerrissen und sie davongejagt haben. Die Ankündigung der Leitung, sie werde 2.900 Stellen abbauen, wurde von der Belegschaft nicht so freundlich aufgenommen.
Die Leitung von Air France will seit Jahren die Beschäftigten dazu bewegen, Opfer "für das Wohl des Unternehmens" zu bringen. Die Ankündigung, 2.900 von ihnen würden trotzdem ihre Arbeit verlieren, hat schließlich das Fass zum überlaufen gebracht.
Wahrscheinlich hatten die Leitung und die Regierung erwartet, dass die Arbeitenden die Nachricht mit resignierender Ruhe aufnehmen und dann mit gesenktem Kopf nach Hause gehen... Diesmal war es aber ganz anders. Gegenüber der Arroganz der Chefs haben die Kolleg/inn/en beschlossen, dass sie es sich nicht gefallen lassen. Sie haben die Leitung zur Rechenschaft gezogen und die Situation ist eskaliert, bis zwei Manager ihre Hemden verloren haben...
Man darf sich aber nicht wundern, wenn so etwas passiert. Eigentlich kann man sich nur freuen. Bei Air France wie bei den zahlreichen Unternehmen in Frankreich, die Arbeitsstellen vernichten, erwartet man von den Beschäftigten nur, dass sie alles brav hinnehmen, ohne zu reagieren. Tun sie es doch, schreien sofort alle Verfechter des Kapitalismus und der bürgerlichen Ordnung, dass solche Gewalt unakzeptabel sei. So haben in Frankreich fast alle Medien und Politiker/innen ihrer Empörung gegen die sogenannte Gewalt der Beschäftigten Ausdruck verliehen.
Die rechtsextreme und populistische Front National von Marine Le Pen hat mehr Härte gegen die protestierenden Arbeitende von Seite der Regierung verlangt und somit ihr wahres Gesicht gezeigt: das Gesicht einer Partei, die entschieden auf der Seite der Unternehmer und der Reichen steht, und sicher nicht auf der des "kleinen Mannes", wie sie sonst zu behaupten pflegt. Es soll eine gute Lektion für diejenigen in Österreich sein, die in der FPÖ eine Partei für die arbeitende Bevölkerung sehen: wenn die Arbeiter/innen selbst für ihre Interessen handeln wollen, wird sie ihnen die Polizei schicken.
Sarkozy, der ehemalige konservative Präsident, hat selbstverständlich gegen die protestierende Belegschaft geschimpft. Manuel Valls (Premierminister) und François Hollande (aktueller Präsident), die beide in der französischen Sozialdemokratie sind, haben aber auch gegen die Arbeitende Stellung genommen und ihre "Gewalt" als unzulässig bezeichnet. Sie haben scheinbar viel mehr Verständnis für die Unternehmer, die den Arbeitenden den Job rauben. Und diese Leute nennen sich Sozialisten!
Die bürgerlichen Medien und Politiker/innen zeigen aber mit ihrer Reaktion, in welchem Lager sie in Wirklichkeit stehen. Denn die "Gewalt", die zu zwei zerrissenen Hemden führt, ist nichts, verglichen mit den dramatischen Folgen, die der Abbau von 2.900 Stellen haben wird. Es sind fast drei Tausend Menschen, die ihre Einkommensquelle verlieren werden; die man in die Arbeitslosigkeit und in die Armut schickt. Wie viele Scheidungen, wie viele Depressionen, wie viele Selbstmorde und zerstörte Leben werden mit dieser Jobvernichtung einhergehen? Die wahre Gewalt kommt also zweifellos von den Unternehmern und sicher nicht von den Arbeitenden, die sich wehren, wie sie gerade können, und ihre Wut zeigen.
Air France ist aber kein Einzelfall und ab und zu gibt es in anderen französischen Betrieben Reaktionen der Belegschaft auf unternehmerische Angriffe, weil die Kolleg/inn/en einfach keine andere Wahl haben: im Hotel W Paris-Opéra, wo das Personal für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen streikt; in der RATP (Pariser Öffis), wo die Belegschaft gegen die Politik der Leitung am 15. Oktober gestreikt hat; bei Peugeot in der Stadt von Rennes, wo die Kolleg/inn/en sich bedroht fühlen und im Betrieb demonstriert haben, um der Leitung ihre Entschlossenheit zu zeigen; im Louvre Museum, wo die Belegschaft der Kaffeehäuser und Restaurants drei Tage lang erfolgreich gegen den unternehmerischen Druck (Sanktionen, Stellenabbau) gestreikt hat; und in anderen Betrieben, ohne dass der Kampf bekannt wird.
In Air France wie woanders zeigen solche Ereignisse, dass die Arbeitende sich nicht ewig alles gefallen lassen werden. Die gewaltsamen Angriffe vonseiten der Unternehmer bringen viel Wut mit sich. Und irgendwann muss diese Wut explodieren. Das tut sie auch manchmal.
Natürlich kann man nicht hoffen, dass ein paar zerrissener Hemden genügen werden, um den Kapitalist/inn/en die Stirn zu bieten. Aber der Willen zu kämpfen, die Bereitschaft, den Kopf zu erheben und sich Respekt zu verschaffen, sind ein erster Schritt in Richtung einer kollektiven Antwort der Arbeiter/innen/klasse gegen die Unternehmer und die Regierung. Das ist für uns Arbeitende die einzige Lösung.
In Frankreich wie in Österreich ist es die Gier der Reichen und ihre ständigen Angriffe, die irgendwann diese Antwort der arbeitenden Bevölkerung auslösen wird. Nur diese Antwort kann die Kapitalist/inn/en daran hindern, unsere Existenzbedingungen für ihre Profite zu opfern. In diesem Sinne zeigen uns die Kolleg/inn/en von Air France den Weg, den wir alle gemeinsam einschlagen müssen, um unsere Interessen zu vertreten.