Lutte Ouvrière: Die Gefahren der Front National


Dieser Text ist ein Auszug aus der „Innenpolitik"-Resolution, die der Lutte Ouvrière-Parteitag von Dezember 2013 angenommen hat.

In Frankreich finden Ende März die Gemeinderatswahlen statt. Ähnlich wie in Österreich die FPÖ von ihrer sozialen Demagogie profitiert, ist in Frankreich die Front National im Aufwind. Wir veröffentlichen hier einen Text der französischen trotzkistischen Organisation Lutte Ouvrière (LO), der diese Entwicklung einschätzt. Die LO kandidiert selbst bei den Wahlen in vielen Gemeinden.

Der Anstieg des Einflusses der Front National bei den Wahlen, so wie er aus den Umfragen und einigen Nachwahlen aus der letzten Zeit hervorgeht, ist bezeichnend für das politische Klima.

Was Wahlen betrifft, so stellt die Rechte in diesem Land die Mehrheit. Die Rechtsextremen ihrerseits hatten in der Vergangenheit oftmals bedeutende Wahlergebnisse. Jedenfalls war das so, wenn die reaktionärste Wählerschaft um eine vereinende Persönlichkeit gruppiert war (De Gaulle und die RPF zu Beginn der 50er Jahre, Poujade in den 50ern, Tixier-Vignancourt in den 60ern und zuletzt die Dynastie Le Pen). Außerdem sind die Grenzen zwischen den Rechtsextremen und der parlamentarischen Rechten derart porös, dass sich ein Teil der rechtsextremen Wählerschaft oft mit jenem der klassischen Rechten vermischt hat.

Der besorgniserregende Aspekt dieses ansteigenden Einflusses der Front National bei Wahlen ist die Tatsache, dass die rechtsextreme Partei auf einen bedeutenden Teil der Arbeiterwählerschaft anziehend wirkt. Wir stützen uns bei dieser Feststellung nicht auf Umfragen, sondern auf Diskussionen in den Arbeitervierteln und sogar in den Betrieben. Die Gründe sind augenscheinlich die Enttäuschung gegenüber den traditionellen Parteien der Linken, die, wenn sie an der Regierung sind, eine Politik machen, die sich in nichts von jener der Rechten unterscheidet.

Die Bezeichnung „UMPS" von Marine Le Pen (UMPS ist eine Zusammensetzung aus der gaullistisch-konservativen UMP und der sozialdemokratischen PS; Anm. ARKA) findet umso leichter ein Echo sogar bei den Arbeitenden, als sie ihrer politischen Erfahrung entspricht. Unsere Argumente bezüglich der Tatsache, dass die Front National genauso wie die anderen Parteien im Dienst der großen Wirtschaftsbossen und der kapitalistischen Ordnung steht, können ankommen, aber die stoßen sich an einem Einwand, der scheinbar dem gesunden Menschenverstand entspringt: „Diese haben wir noch nicht ausprobiert".

Unsere Praxis als Aktivisten zeigt uns, dass diese Anziehung nicht – jedenfalls noch nicht – eine Übereinstimmung im Sinne einer Mitarbeit ist, sondern der Ausdruck eines Verlustes der politischen Bezugspunkte, einer tiefgreifenden Desorientierung. Aber das Gewicht, das wir als Aktivisten haben, ist viel zu gering, um dieser Desorientierung in angemessener Weise entgegenzuwirken, und vor allem, um ihre prinzipiellen Ursachen zu überwinden.

Dieser Anstieg des Einflusses der Front National bei Wahlen nährt sich nicht nur aus dem Ekel, den die Politik der großen linken Parteien hervorruft, wenn diese an der Regierung sind. Sie nährt sich noch mehr aus der Abwesenheit der Parteien der Arbeiterbewegung in den Arbeitervierteln und in den Betrieben; Parteien, die zumindest auf dem Gebiet des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit, den Argumenten der Rechtsextremen etwas entgegnen könnten. Die Front National übernimmt selbst in demagogischer Weise die in dieser Zeit existierenden Vorurteile und verstärkt sie umso leichter als die klassischen parlamentarischen Parteien diese Vorurteile immer mehr selbst übernehmen.

Dazu kommt, dass die Tatsache, dass in unterschiedlichem Ausmaß alle sich republikanisch nennenden Parteien sich auf einer Linie mit der einen oder anderen Position der Front National befinden und diese dadurch alltäglich werden. All jene, die zuvor diese Vorurteile hatten, aber nicht wagten, sie von sich zu geben, tun das jetzt offen.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was im Kopf von Marine Le Pen oder ihrer Parteiführung vorgeht: sich in das traditionelle politische Spiel integrieren oder eine gewaltsamere Politik beginnen.

In Frankreich sind wir nicht auf einer Stufe angelangt, die eine Organisation wie Goldene Morgenröte en Griechenland oder Jobbik in Ungarn hervorbringen kann. Aber die Demonstrationen gegen die „Ehe für alle" sollten uns als Warnung dienen. Sie haben gezeigt, dass die menschlichen Elemente existieren, welche die Kader einer solchen Entwicklung sein können. Sie haben die Verbindungen erahnen lassen, die zwischen diesen Elementen und der Hierarchie von Armee und Polizei existieren. Der Begriff „die FN entdämonisieren" ist sicher nicht nur das Werk von Marine Le Pen, sondern kommt von einer Gesamtentwicklung der öffentlichen Meinung, in denen das unsinnige Zeug der FN nicht mehr oder nicht mehr so sehr als schändlich empfunden wird. Eine Entwicklung, in der nicht nur die parlamentarische Rechte, sondern auch die Linke, die PS an der Macht, eine bedeutende Rolle spielen. Diese Entdämonisierung erleichtert natürlich den politischen Handlungsspielraum all jener, die rechtsextreme Ideen predigen, ohne dass sie das unbedingt in faschistische Aktivisten verwandelt. Aber wenn die Kader einer eventuellen faschistischen Bewegung existieren – und sie existieren! –, wenn ein Klima herrscht, in dem sie leichter rekrutieren können, so fehlen ihnen doch die Truppen, die eine Verschärfung der Krise hervorbringen und zu ihrer Verfügung stellen kann.

Was es dem dunklen ultranationalistischen Demagogen Hitler ermöglichte, Vertrauen zu gewinnen und dann für die Macht zu kandidieren, das waren Zehn- und Hunderttausende von ruinierten Kleinbürger, die die Krise mobilisiert hatte, das heißt, ihr eigener Verfall.

In diesem Sinne hängt die Zukunft der Front National oder eines ihrer Bestandteile als zukünftige faschistische Partei von der Dauer und der Verschärfung der Krise ab.

Wir sind heute nicht an diesem Punkt angelangt, aber das kann sich schnell ändern. Die Demonstrationen in der Bretagne müssen uns als Alarmsignal dienen. Der Aufstand der „Roten Mützen" hat gezeigt, wie die Kleinbourgeoisie in Erscheinung treten und radikale Aktionen unternehmen kann. Diese Aktionen waren nicht im Geringsten gegen die Arbeitenden gerichtet, sondern gegen die Regierung und besonders gegen die „Ökosteuer". Aber das wäre möglich gewesen, sie hätten gegen die Gewerkschaften gerichtet sein können, insbesondere gegen die CGT, die alles gemacht hat, um sowohl von den Arbeitenden als auch von den Kleinbürgern, die am 2. November in Quimper demonstrierten, abgeschnitten zu sein, indem sie die Regierungspolitik verteidigte, wenn auch auf scheinheilige Weise.

Im Fall einer Radikalisierung der Kleinbourgeoisie ist die wichtigste Frage, die sich stellt, die zu wissen, auf welche Seite sie landen wird: im Lager der Arbeitenden oder im Lager der Bourgeoisie, indem sie bei den Rechtsextremen landet beziehungsweise sogar Stoßtrupps bildet.

Ob es Kämpfe geben wird oder nicht, wird das kommende Jahr jedenfalls ein Wahljahr mit den Kommunal- und Europawahlen sein. Und wir müssen uns auch darauf vorbereiten, in diesem Bereich zu intervenieren.

In diesen Wahlen werden wir uns als eine Arbeiteropposition zur Regierung präsentieren. Unsere Ausrichtung wird darin bestehen, dem Lager der Arbeitenden gegen die Bourgeoisie und ihren Dienern Gehör zu verschaffen. Aber da diese Wahlen von der FN beeinflusst sein werden, werden wir uns auch gegen sie positionieren und über die Front National diskutieren müssen.

Wir werden alle das sagen, was wir gegen die FN haben, aber dabei einen Klassenstandpunkt einnehmen. Wir schlagen nicht mit dem Faschismus Alarm – sie ist nicht faschistisch – und wir kritisieren sie nicht vom Standpunkt der Moral aus. Wir erklären im Gegensatz zu den Verteidigern der republikanischen Front, dass die FN eine Partei der Bourgeoisie ist, die sich von den anderen durch die autoritäre Politik unterscheidet, die sie verspricht, aber dass auch sie im Interesse der Bosse regieren wird.

Wir werden den Arbeitenden erklären, dass sie die Regierungspolitik und die seit Jahrzehnten regierende Clique zu Recht ablehnen, aber dass die, die denken, dies durch die Stimme für die FN zu tun, sich täuschen. Die FN ist wie die anderen eine Partei, die an den Futtertrog herankommen will, und die nichts gegen die Bourgeoisie, nichts gegen die Ausbeutung hat. Die FN ist eine Partei, die wie die anderen die Lohnsklaverei erhalten will, aber mit diktatorischeren Methoden.

Es wird notwendig sein, jene, die dazu neigen, FN zu wählen, und sei es nur aus Provokation, über die Bedeutung zum Nachdenken zu bringen, die ihrer Stimme verliehen werden wird. Die FN-Stimme wird als eine Regierungskritik von rechts interpretiert werden, denn die Stimmen, die von den Armen kommen werden, werden sich mit jenen der schlimmsten Reaktionären vermischen, den arbeiterfeindlichen kleinen Bossen, den Kolonie- und OAS-Nostalgikern (Die OAS war eine rechtsextreme, terroristische Untergrundorganisation von Algerienfranzosen; Anm. ARKA), den Rassisten. Sie wird interpretiert werden, als die Forderung nach einer härteren Politik gegen die Arbeitslosen, gegen die Gewerkschaften, gegen die Arbeitenden, die sich organisieren und verteidigen wollen.

Wir werden erklären, dass man die arbeiterfeindliche Regierungspolitik ablehnen muss, indem man die Interessen der Arbeiter in den Vordergrund rücken muss. Indem man ihren Willen zur Verteidigung gegen die Entlassungen, gegen die Zertrümmerung ihrer Kaufkraft, gegen die Verschärfung der Ausbeutung, gegen die Geschenke für die Bosse, die die Sozialversicherung, die Renten, den öffentlichen Dienst zerstören, betont.

Wir werden die Argumente der FN durch eine Klassenpolitik beantworten. Indem wir wieder und wieder betonen, dass hinter der Regierung die großen Bosse stehen. Es genügt nicht, seine Wut gegen die Marionetten auszudrücken, man muss auch auf jene zielen, die die Fäden ziehen: die Bourgeoisie, die Finanzbosse und die Aktionäre. Man muss auf die zielen, die Arbeiter entlassen, auf die Schmarotzer, die durch die Arbeit aller anderen reich werden.

Wir stellen es in unseren täglichen Aktivitäten fest: Auch die, die versucht sind, FN zu wählen, können uns zuhören. Wir müssen sie auf Basis ihrer Interessen als Ausgebeutete treffen.

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