Kostas Seirinidis (1938-2010)

 

19.Juni 2010

Der revolutionäre Aktivist Kostas Seirinidis ist am 15. Juni gestorben. Verantwortlich dafür ist der griechische Staat, der angesichts von Gärung und Widerstand in der griechischen Gesellschaft zunehmend auf Repression setzt.

Die letzten Monate waren in Griechenland von Angriffen der Regierung auf die Lohnabhängigen einerseits und von Protesten, Demonstrationen und Streiks andererseits geprägt. Die PASOK-Regierung will die kapitalkonformen Kürzungsprogramme auf Biegen und Brechen durchdrücken. Dementsprechend setzen Polizei und Justiz immer mehr auf Einschüchterung und Terror gegen antikapitalistische AktivistInnen.

Gegen DemonstranInnen wird oftmals brutal vorgegangen. Vor und nach Kundgebungen werden Leute willkürlich festgenommen (und oft geprügelt). Im linken Athener Stadtviertel Exarchia gleicht die Präsenz der Spezialpolizei den Zuständen in einer lateinamerikanischen Militärdiktatur. Polizeirazzien sind besonders dort wie Übergriffe von marodierenden Banden.

Ein Beispiel für die Polizeistaatmethoden in Griechenland ist auch die Verhaftung des anarchistischen Aktivisten Aris Seirinidis Anfang Mai. Mit fadenscheinigen Begründungen wird ihm vorgeworfen, einen mit Polizisten besetzten Bus beschossen zu haben. Die angeblichen „Beweise" sind haarsträubend (auf der Geldbörse von Aris soll sich dieselbe unbekannte DNA befinden, die auf einer Maske in der Nähe des Tatortes gefunden wurde); trotzdem wurde bei der Haftprüfung die Verteidigung nicht einmal richtig angehört.

Offensichtlich geht es Polizei und Justiz darum, einen missliebigen Aktivisten aus dem Verkehr zu ziehen. Der Prozess wird erst in vielen Monaten sein (maximal 18 Monate kann man/frau in Griechenland ohne Prozess in Haft bleiben). Bis dahin bleibt Aris in Haft – zuerst war er in Isolationshaft bei der Polizei mit den üblichen , Übergriffen und minimaler Besuchszeit von einer Viertelstunde pro Woche, jetzt ist er im berüchtigten Korydallos-Gefängnis. Selbst wenn die Polizei beim Prozess dann mit ihren Anschuldigungen nicht durchkommt, haben sie ein Ziel erreicht: Ein Aktivist im Knast und Teile des Umfeldes mit Solidaritätsarbeit, all den rechtlichen Dingen etc. beschäftigt.

Kostas Seirinidis spielte die zentrale Rolle in der Solidaritätskampagne für seinen inhaftierten Sohn. In der Öffentlichkeitsarbeit und in der Koordination mit den AnwältInnen, den Eingaben und Berufungen liefen alle Fäden bei Kostas zusammen. Am 15. Juni hat sein Herz all den Stress, die Belastungen und die Sorge um Aris nicht mehr ausgehalten. Er hatte einen Herzinfarkt und starb. Er ist das jüngste Opfer der Repression des griechischen Staates. Kostas ist gefallem im Klassenkrieg, den er seit Jahrzehnten geführt hat.

Kostas Seirinidis stammt ursprünglich aus Kreta. Er war Offizier in der griechischen Armee und in den 1960er Jahren in Zypern stationiert, wo er die arbeiterInnenfeindliche und nationalistische Politik der griechischen herrschenden Klasse und der CIA hautnah miterlebte. Er kehrte als Kommunist nach Griechenland zurück und stieg in der stalinistischen KKE bis in Zentalkomitee auf. Gemeinsam mit seiner Frau Lula, die aus einer durch und durch kommunistischen PartisanInnenfamilie stammt, war Kostas im Widerstand gegen die Militärjunta aktiv und wurde auch inhaftiert.

In den 15 Jahren nach dem Sturz der Junta 1974 arbeitete er mit aller Kraft am Aufbau der KKE mit. Als diese aber 1989 in eine Regierungskoalition mit der konservativen Nea Dimokratia eintrat, verliess Kostas mit der Linksabspaltung NAR die KKE. Er blieb aber nicht bei dieser Strömung, sondern wurde sehr bald darauf Anarchist und versuchte seine neuen revolutionären Konzepte in drei Büchern und mehreren Broschüren niederzulegen. Kostas und Lula waren in den letzten 20 Jahren sehr aktiv in der zuletzt erstarkten anarchistischen Szene in Athen. Obwohl nicht mehr die Jüngsten waren sie auf nahezu jeder Demonstration mit dabei und hatten auch keine Angst, wenn es in ihrer Nähe zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Kostas war bis zuletzt ausgesprochen agil, fit und optimistisch.

Als Kostas Seirinidis am 17. Juni bei brütender Hitze von 40 Grad im Schatten am Friedhof von Athen-Kaisariani zu Grabe getragen wurde, waren 400-500 Menschen anwesend, Familie, VertreterInnen anderer revolutionärer Strömungen, vor allem aber junge AktivistInnen, die nicht nur Freunde und GenossInnen von Aris und seiner Schwester Vasso sind, sondern auch von Kostas und Lula. Es war, als würde ein junger Mensch beerdigt, der mitten im Leben stand. Die Stimmung war sehr bewegend und kämpferisch. Es war allen klar, dass ein revolutionärer Aktivist im Kampf gestorben ist.

Es gab eine Reihe von Ansprachen. Es begann Kostas' Tochter Vasso. Stark und berührt zugleich erzählte sie mit kräftiger Stimme vom politischen und persönlichen Leben ihres Vaters. In einem emotionalen und kämpferischen Abschluss verabschiedete sie sich von „dem Genossen Kostas, meinem Vater". Danach sprachen ein junger anarchistischer Aktivist und eine Aktivistin, die betonten, dass Kostas für sie und viele der jungen KämpferInnen wie ein zweiter Vater war. Aris hätte am Begräbnis nur in Handschellen und unter massiver Polizeibewachung teilnehmen können. Da hat er es vorgezogen, im Gefängnis zu bleiben, denn er wollte nicht, dass „wenn wir um unseren Vater weinen, die Bullen dabei sind." Er konnte aber vom Gefängnis aus anrufen und über Lautsprecher wurden seine Worte am Friedhof übertragen. Er sprach über den revolutionären Kampf und insbesondere sein Verhältnis zu seinem Vater, das in den 40 Tagen der Haft noch enger geworden ist

Als die Reden zu Ende waren, küssten Lula und Vasso, denen wie vielen anderen immer wieder die Tränen in die Augen schossen, den offen im Sarg liegenden und mit einer rot-scharzen Fahne bedeckten Kostas ein letztes Mal. Als der Sarg geschlossen und hinabgelassen wurde, sangen die Anwesenden – angestimmt von Lula und Vasso – kämpferische PartisanInnenlieder. Revolutionare Slogans wurden skandiert. Es war spürbar, dass die Beisetzung von Kostas Seirinidis ein Teil des griechischen Klassenkampfes und der revolutionären Tradition in diesem Land war.

Dass es hier um breitere gesellschaftliche Entwicklungen handelt, zeigt auch der aktuelle Fall vom Simos Seisidis. Er war bei seiner Festnahme ins Bein geschossen worden – die Polizei behauptet, er habe flüchten wollen, er selbst sagt, dass er (ohne die Polizisten vorher überhaupt bemerkt zu haben) ohne jede Vorwarnung niedergeschossen worden ist. Verletzt wurde Simos ins Gefängnis gebracht und dort so lange nicht beziehungsweise mangelhaft behandelt, bis sie ihm schliesslich das Bein amputieren konnten.

Die Klassenkämpfe in Griechenland sind gegenwärtig die Speerspitze in Europa. Die in den letzten 1-2 Jahren angewachsene anarchistische Strömung ist zu einer besonderes Zielscheibe des Repressionsapparates geworden. Dieses Milieu ist aber auch kampferfahren und zum Widerstand bereit. Innerhalb von anarchistischen Gruppen in Athen gab es in den letzten Monaten verstärkt Diskussionen darüber, wie der militanten Rebellion auf der Strasse auch eine politische Perspektive, letztlich einen Machtperspektive, gegeben werden kann, wie effizientere Organisationstrukturen der Revolutionäre geschaffen werden können – Überlegungen, die teilweise in eine revolutionär-marxistische Richtung gehen.

Der Kampf der GenossInnen in Griechenland verdient und erfordert jedenfalls unsere Aufmerksamkeit und Solidarität. Das bedeutet unter anderem, von den Kämpfen und Diskussionen in Griechenland zu berichten und davon zu lernen. Den Tod von Kostas, die Verstümmelung von Simos und all die anderen Dinge werden wir dem griechischen Staat und seinen Kumpanen in den anderen europäischen Ländern nie vergessen! Kostas wird im Herzen von tausenden AktivistInnen weiterleben. Wir ehren sein Andenken am besten, indem wir seinen Kampf gegen das kapitalistische Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem mit dem gleichen Engagement und der gleichen Unbeugsamkeit fortsetzen, wie er ihn geführt hat. Kalo Taxidi, Genosse Kostas!

 

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