04.Februar 2008
Am 2. Februar kam es im Zentrum von Athen zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Spezialpolizei einerseits und linken DemonstrantInnen andererseits.
Die faschistische Organisation Chrisi Avgi (Goldener Sonnenaufgang) plante eine nationalistische Demonstration und seit dem frühen Morgen hatten sich etwa 50 faschistische Schläger am Kolokotroni Platz versammelt. Die rechtsextreme Zusammenrottung fand, wie schon des Öfteren, unter dem Schutz und vermischt mit den berüchtigten Spezialpolizisten der MAT statt. Am späten Vormittag versammelten sich etwa 400 GegendemonstrantInnen, überwiegend aus dem anarchistischen und linksradikalen Spektrum, am nahe gelegenen Klafthmonos Platz.
Als sich die linke Demo dem Versammlungsort der Faschisten näherte, bildete die Polizei einen Schutzschild für die Chrisi Avgi. Durch eine von der Polizei frei gehaltene Schneise konnte die Faschisten eine Gruppe von Linken angreifen, vier von ihnen verletzten und sich dann rasch wieder hinter der Polizeilinie verstecken. Ein Genosse der trotzkistischen Ergatiki Exousia wurde von einem Nazi niedergestochen und musste notoperiert werden, einem weiteren Aktivist wurde ins Bein gestochen, zwei von Steinen am Kopf getroffen.
Einem von etwa 50 Anarchisten auf die Faschisten folgte ein gemeinsamer Gegenangriff von Nazis und MAT. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein. Auf einem Video einer Fernsehstation ist zu sehen, wie die mit Eisenstangen, Messern und Steinen bewaffneten Faschisten gemeinsam mit der MAT die linke Demo angreifen. An anderen Plätzen fanden Scharmützel zwischen kleineren Gruppen von Faschisten und Linken statt. Noch mehrmals versuchten die AntifaschistInnen, die Versammlung der Chrisi Avgi anzugreifen. Sie wurden aber jeweils durch starken Einsatz von Tränengas zurückgeschlagen.
Um 15 Uhr erklärte schließlich der Staatsanwalt die Faschisten-Demo für untersagt, wohl um die Situation zu entspannen. Am frühen Abend fand dann von Propylea aus erneut eine antifaschistische Demonstration statt, an der sich etwa 600 Personen beteiligten. Ohne Anlass griff die MAT die Demo mit brutaler Gewalt an. Jetzt wurde noch massiver Tränengas eingesetzt, das noch stundenlang in der Luft hing und die Innenstadt lange paralysierte. Mit Schlagstöcken wurden Dutzende DemonstrantInnen niedergeprügelt, eine Genossin wurde durch ein Tränengasgeschoss schwer verletzt, das direkt ihr Auge traf. Etwa 120 Personen wurden verhaftet. Die Auseinandersetzungen beruhigten sich erst, als alle Festgenommenen ohne Anklagen wieder freigelassen wurden. 4-5 DemonstrantInnen mussten im Spital bleiben, sind aber sämtlich (auch der niedergestochene Genosse) außer Lebensgefahr.
Ein Parlamentsabgeordneter der linken Partei Synaspismos sagte einer Radiostation, dass er mit eigenen Augen gesehen hat, wie MAT-Polizisten aus einem Van Schlagstöcke entladen haben, die dann den Faschisten gegeben wurden. Synaspismos wirft der konservativen Regierung vor, dass die offene Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nazis geplant wurde.
Neu ist diese Zusammenarbeit freilich nicht. Die 1981 gegründete faschistische Schlägerorganisation Chrisi Avgi hat seit langem enge Verbindungen mit der Polizei. Zahlenmäßig ist die Gruppe, die für einige Anschläge auf jüdische Einrichtungen verantwortlich gemacht wird, eher klein, ihre Mobilisierungskraft liegt zwischen 50 und 100 Personen. Sie agiert aber ausgesprochen brutal. Beispielsweise schoss das Chrisi-Avgi-Mitglied Pandelis Kazakos im Oktober 1999 in eine Menge von MigrantInnen, wobei drei Menschen starben. Der Athener Tageszeitung Ta Nea sagte er, dass er nichts bereue und die Tat als Dienst an seinem Vaterland betrachte. Und vor einigen Jahren wurde eine linke Demonstrantin von einem MAT-Polizisten schwer verletzt; der uniformierte Schläger entpuppte sich schließlich als Mitglied der Chrisi Avgi.
Die rechtsextreme Durchsetzung von Polizei, Justiz und Armee hat in Griechenland eine lange Kontinuität, die mindestens bis in die Schlussphase des Zweiten Weltkrieges zurückreicht. Die faschistischen NS-Kollaborationsverbände (die so genannten Sicherheitsbataillone, die Evzonen etc.) wurden von den britischen Invasionstruppen 1944/45 reorganisiert und neu bewaffnet, um sie gegen die starke ArbeiterInnen- und PartisanInnenbewegung einzusetzen. Die ehemaligen Schergen der Nazi-Besatzung bildeten den Kern des neuen "demokratischen" Staatsapparates von Gnaden Großbritanniens und dann der USA.
Die rechtsextrem dominierten Polizei- und Armeekräfte errichteten ein Terrorregime gegen die AnhängerInnen der antifaschistischen Befreiungsbewegung EAM und wurden seit 1947 von den USA massiv aufgerüstet. In einem dreijährigen BürgerInnenkrieg zwischen 1946 und 1949 wurde die griechische ArbeiterInnenbewegung und Linke nahezu völlig zerschlagen. Die Pseudodemokratie zwischen 1949 und 1967 war in Wahrheit eine notdürftig kaschierte Diktatur von Monarchie, rechtsextremen Armee- und Polizeikräften und den US-Geheimdiensten. In der Militärjunta von 1967 bis 1974 trat diese Koalition noch mal völlig ungeschminkt auf, bis die Obristen schließlich über ihre Zypernpolitik stolperten.
Nach 1974 und vor allem mit der PASOK-Regierung ab 1981 kam es zwar zu einer "Demokratisierung", d.h. zu einer weitgehenden Anpassung an westeuropäische bürgerlich-demokratische Standards. Dennoch blieb der Großteil des rechtsextremen Personals in Polizei, Armee und Gefängnissen auf seinem Posten. Der rechte bis rechtsextreme Korpsgeist in diesen Formationen wird weiter reproduziert, in der Hauptstadt Athen sind weiterhin viele Polizisten aus den berüchtigt rechtsextremen Gebieten der Peloponnes. Massive und maßlose Polizeibrutalität gegen Demonstrationen und folterartige Übergriffe auf Polizeistationen und in Gefängnissen gehörten auch in den letzten Jahrzehnten zum Alltag.
Die griechische Linke und ArbeiterInnenbewegung hat es freilich gelernt, mit diesen Verhältnissen umzugehen. Demonstrationsblöcke der verschiedenen linken Organisationen sind in der Regel gut organisiert und für eine Verteidigung ausgerüstet. Streikende führten immer wieder auch erfolgreiche Kämpfe mit der Polizei. Und es kommt immer wieder zu heftigen militanten Konflikten zwischen AnarchistInnen und der MAT. Aufmärsche der Nazi-Truppe Chrisi Avgi wurden zuletzt durch militante Mobilisierungen von anarchistischen und anderen radikalen Linken unterbunden. Nach diesen Niederlagen haben sich MAT und Chrisi Avgi diesmal offenbar systematisch auf die Auseinandersetzung mit der radikalen Linken vorbereitet.
Unmittelbar stellt die Chrisi Avgi vor allem eine mörderische Gefahr für MigrantInnen und linke AktivistInnen dar. Im letzten Jahr hatten die faschistischen Schläger wiederholt Unterkünfte von Pakistani überfallen. In den letzten Monaten hatten sie dann auch immer wieder linke Versammlungslokale angriffen, vor Weihnachten etwa den Club der trotzkistischen Organisation Ergatiko Epanastatiko Komma (EEK) in Exarchia, einem "linken" Stadtviertel in Athen. Erhöht wird diese Gefahr durch die systematische Kooperation der Faschisten mit der MAT. Insgesamt ist die Chrisi Avgi freilich eine isolierte Gruppe, deren gesamtgesellschaftlicher Einfluss sehr gering ist.
Gleichzeitig sind aber in den letzten 15 Jahren in Griechenland rassistische Stimmungen deutlich angewachsen. Griechenland war Jahrzehnte lang eine Auswanderungsland gewesen, ist aber seit 1990 zu einem Einwanderungsland geworden. Über eine Million MigrantInnen, vor allem AlbanerInnen, aber auch BulgarInnen, KurdInnen, Pakistani, AfrikanerInnen etc., leben unter überwiegend rechtlosen Bedingungen im Land und sind starken Ressentiments ausgesetzt. In Kombination mit Angriffen auf das Sozialsystem bildet der Rassismus gegenüber MigrantInnen die Basis für den Einzug der nationalistischen Partei LAOS ins Parlament bei den letzten Wahlen im September 2007.
Die beste Antwort auf die rassistische Spaltung ist der gemeinsame Klassenkampf der Lohnabhängigen und Ausgebeuteten. Die griechische ArbeiterInnenbewegung gehört zu denjenigen in Europa, die am stärksten zu Schritten in diese Richtung in der Lage sind. 2006/07 gab es Monate lange, teilweise erfolgreiche Streiks und Demonstrationen der Studierenden gegen den neoliberalen Umbau der Universitäten. Und im Dezember 2007 fand ein riesiger Generalstreik gegen Rentenkürzungen und andere Verschlechterungen statt, der mit den größten Demonstrationen seit vielen Jahren einher ging.