Am 16. April hat in der Türkei ein Referendum stattgefunden, das dem türkischen Präsidenten Erdogan mehr Macht verleihen wird.
Das offizielle Wahlergebnis – eine knappe Mehrheit von 51 % für das „Ja“ - sowie die Anklagen wegen Wahlmanipulationen zeigen jedenfalls keine klare Unterstützung für Erdogans Pläne. Zumal der türkische Präsident seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 scharf gegen seine Gegner und all jene vorgeht, die nur die leiseste Kritik aussprechen. Unliebsame Medien wurden geschlossen. Massenentlassungen von Beamten und Lehrer/innen fanden statt. Folter, Verhaftungen und Vertreibung von Minderheiten wie den Kurden stehen an der Tagesordnung. Seit Monaten herrscht der Ausnahmezustand, der erlaubt, alle politischen Gegner mundtot zu machen. Kritiker hatten fast keinen Zugang zu den großen Medien, um ihre Meinung zu äußern.
Jetzt soll die geplante Verfassungsreform Erdogan und der AKP enorme Macht verleihen. Wie dem auch sei, das Resultat des Referendums ist keine gute Nachricht für die einfache Bevölkerung in der Türkei. Die Festigung der persönlichen Macht Erdogans wird sicher keins ihrer Probleme lösen: das Elend, die Niedriglöhne, die verstärkte Ausbeutung. Ihre Zukunft hängt von der Fähigkeit der türkischen Arbeitenden ab, sich zu wehren und ihre Interessen durchzusetzen. Die Arbeiter/innen in der Türkei haben aber in den letzten Jahren trotz massiver Repressalien gezeigt, dass sie sich ihr Recht, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, von niemandem, auch nicht von Erdogan, nehmen lassen. So haben 2015 15.000 Arbeiter/innen der Automobilbranche in Bursa für höhere Löhne gestreikt und diese auch durchsetzen können. Und das obwohl Erdogan mit seiner Polizei den Unternehmern zu Hilfe gekommen ist und alles getan hat, damit der Arbeitskampf scheitert.
Die Scheinheiligkeit der europäischen Politiker
Hier in Österreich gibt es seit Monaten eine Kampagne gegen das autoritäre Regime in der Türkei. Alle Medien und Politiker wollen wie die besseren Verteidiger der sogenannten „westlichen Werte“ erscheinen, als gelte ihre ganze Sorge der Verteidigung der Demokratie!
Da könnte man doch glatt vergessen, dass die europäischen Führer viel weniger sensibel sind, wenn es sich darum handelt, diese demokratischen Werte konkret zu verteidigen: Zahlreiche Diktaturen gibt es leider in der ganzen Welt, angefangen mit den barbarischen Regimes des Mittelostens (Saudi-Arabien, Katar, usw.). Die westlichen Mächte stützen diese, weil sie ihnen den Zugang zu den Ölreserven sichern. Es stört unsere Politiker aus Europa gar nicht, diese Diktatoren zu empfangen und zu besuchen, um gute Geschäfte mit ihnen abzuschließen und ihnen Waffen zu verkaufen. Ihre „demokratischen Werte“ vergessen sie, wenn es darum geht, den Bevölkerungen dieser Länder zu helfen, sich von diesen barbarischen Regimes zu befreien – Deutschland und Österreich liefern regelmäßig Waffen nach Saudi-Arabien!
Was die Türkei betrifft, schimpfen sie regelmäßig den „Sultan“ Erdogan als Diktator. Aber zur gleichen Zeit sind sie sehr froh, ihn weiterhin als Wachhund zu benutzen, damit er mit Gewalt die Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa hindert. Er wird dafür sogar von Europa bezahlt! Mehr noch brauchen sie die türkische Regierung als stabilen Verbündeten und Stützpunkt an der Grenze zu Syrien und dem Irak, die im Chaos von Krieg und Terror versinken.
Eine versteckte Diktatur: die des Kapitals
In der Türkei sind auch fast alle westlichen Großkonzerne anwesend: Siemens, Fiat, Renault, Daimler, Ford, Nestle, usw. Alle profitieren uneingeschränkt vom Erdogan-Regime, das ihnen erlaubt, die Löhne niedrig zu halten, „gelbe“ (von den Unternehmern eingesetzte) Gewerkschaften, in den Betrieben durchzusetzen, und protestierende Arbeiter zu entlassen. Das alles ist der optimale Boden für große Profite. Den Konzernen ist die Demokratie reichlich egal!
Apropos „Demokratie“
Es wird ständig wiederholt, dass es in Österreich mehr Freiheit als in vielen anderen Ländern gibt. Man kann zwar Politiker und Parteien wählen ... jedoch fast alle machen dieselbe Politik zu Gunsten der Großaktionäre und Großbanken. Soll das Demokratie sein?
Gar nicht demokratisch ist auch die Tatsache, dass Migranten, die hier jahrelang, manchmal sogar jahrzehntelang arbeiten und leben, nicht wählen dürfen.
Es herrscht bei uns und überall auf der Welt eine wirtschaftliche Diktatur. Die wesentlichen Entscheidungen für die Arbeiter/innen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft werden von einigen Familien, Konzernen und Banken, die keiner von uns wählen kann, getroffen. Mit ihren riesigen Gewinnen spekulieren sie und richten die Welt nach und nach zu Grunde. Um dies auf Dauer zu verhindern, muss die Wirtschaft von der Diktatur dieser reichen Minderheit befreit und unter die Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung gestellt werden – denn wir schaffen alle Reichtümer; wir sollten sie auch kontrollieren!
19.04.2017