15.06.2015
In der Türkei ist die Kaufkraft im letzten Jahr um etwa 25 Prozent gesunken, eine Katastrophe für die arbeitende Bevölkerung. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Am 14. Mai haben die 5.000 Arbeiter/innen der größten Fabrik des Landes, Renault Oyak, in der Industriezone Bursa, einen Streik angefangen.
Im April hatte die Belegschaft einer Bosch-Fabrik der Region, einer Zulieferfirma, die Arbeit niedergelegt und bald Lohnerhöhungen von 12% bis 60% bekommen. Das hat die Renault-Arbeiter ermutigt, auch in den Kampf einzuziehen. Nach ein paar Aktionen, wie Lärm in der Kantine oder Demos sowohl in der Fabrik als auch in der Stadt, wollte die Leitung manche Kollegen kündigen. Darauf haben die anderen sofort mit einem Warnstreik reagiert. Die Kündigungen wurden rückgängig gemacht. Da die Leitung aber keine Lohnerhöhung zugestehen wollte, haben die Arbeiter/innen einen Streik mit Fabrikbesetzung angefangen. Ihre Forderungen waren: keine Kündigungen, das Verschwinden der offiziellen, die Firmenpolitik unterstützenden Gewerkschaft Türk-metal-is und eine Lohnerhöhung wie bei Bosch (also um etwa 130 Euro).
Die Arbeiter/innen der anderen Betriebe der Region, die unter denselben Lebensbedingungen leben, sind bald diesem Beispiel gefolgt: Tofas (FIAT, 6.500 Arbeiter/innen), Coskunöz (Bergleute, 2.000 Arbeiter), MAKO (Scheinwerfer-Hersteller, 1.100 Arbeiter/innen)... Insgesamt sind es fast 16.000 Arbeiter/, die sich nichts mehr gefallen lassen und den Großunternehmern die Stirn bieten!
Die Streikenden haben Delegierte gewählt, die sie in allen Gesprächen mit der Leitung oder der Bezirkshauptmannschaft repräsentiert haben. Sie hatten den Auftrag, keinen Beschluss allein zu fassen, sondern alles ihren Kolleg/inn/en zu berichten, die dann mit erhobener Hand oder bloß mit Applaus und Jubel alle Entscheidungen kollektiv getroffen haben.
Die Kapitalist/inn/en haben natürlich versucht, diese jungen und entschlossenen Delegierten einzuschüchtern. Diese haben sich aber nicht entmutigen lassen. So wurde nach einer Drohung des Bezirkshauptmanns beschlossen, nicht mehr dorthin zu gehen. Wenn er mit den Streikenden reden wollte, konnte er selber zur besetzten Fabrik fahren!
Das Risiko einer Verbreitung der Bewegung zu anderen großen Industriezentren des Landes hat die Renault-Unternehmer dazu gezwungen nachzugeben. So wurde am 27. Mai ein Abkommen mit ihnen unterschrieben: keine Strafen gegen die Streikenden, Aufrechterhalten der Arbeiterdelegierten als einzige gültigen Gesprächspartner, 200 Euro garantierte jährliche Prämie, fast 500 Euro fürs Beenden des Streiks und neue Lohnverhandlungen im Juni. Die Kolleg/inn/en haben also die Renault-Leitung in die Knie gezwungen und haben die Arbeit mit dem Gefühl wieder aufgenommen, einen großen Sieg erreicht zu haben.
Dennoch wird diese Bewegung den Kapitalist/inn/en noch schlaflose Nächte bereiten. Denn sie ist nicht vorbei. Sie erstreckt sich heute bis in die Vororte vieler Städte: Ford Otosan, Valeo, Delphi, Türk Traktor in Ankara, Arçelik in der Stadt Eskisehir, die Petikim Raffinerie und die Energiegesellschaft Izenerji in Izmir... Das Beispiel der siegreichen Arbeiter/innen bei Renault hat Tausende ermutigt, und die Liste geht weiter. Die Droh-SMS, die Täuschungsversuche, die Briefe der verschiedenen Leitungen reichen nicht aus, um die kämpfenden Kolleg/inn/en zu stoppen.
Denn alle sind täglich mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert. Was aber auch heißt, dass die Lösung für alle die gleiche ist: der soziale Kampf. Die Streikenden haben sehr schnell gelernt, wie sie sich organisieren können, wie sie ihre Bewegung selbst führen können, wie sie die Pläne der Spitzel und der Polizei durchkreuzen können. Und vor allem haben sie gelernt, wie stark die vereinte Arbeiter/innen/klasse ist. Sie haben gesehen, wie die sonst so arroganten Chefs plötzlich machtlos werden, wenn tausende Arbeiter/innen ihnen entschlossen gegenüber stehen. Und sie sehen, dass die Bosse heute keine Wahl mehr haben: geben sie nach, könnte es weitere Arbeiter/innen ermuntern, für ihr Interesse zu kämpfen. Und geben sie nicht nach... gehen sie genau das gleiche Risiko ein!
Die kämpfenden Kolleg/inn/en der Türkei zeigen allen Arbeiter/inne/n den einzigen Weg, um der Profitgier der Reichen nicht zum Opfer zu fallen. Und sie liefern allen den Beweis, dass wir mit genug Entschlossenheit die Kraft haben, unsere Interessen selbst durchzusetzen.