Marxismus-Buchreihe Nr. 28, Wien 2006, 520 Seiten, 18 Euro, ISBN 3-901831-24-X
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Editorial
Die vorliegende Marxismus-Nummer ist der kritischen Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis kommunistischer Frauenpolitik gewidmet. Im Zentrum des überwiegend von Manfred Scharinger verfassten Bandes steht das russische/sowjetische Beispiel. Mit dem ersten ArbeiterInnenstaat wurde immerhin die Voraussetzung geschaffen, auch die sozialistischen Konzeptionen der Frauenbefreiung in die Praxis umzusetzen.
In Teil 1 setzt sich Scharinger mit der Positionsentwicklung in der „Frauenfrage" im vorrevolutionären Russland auseinander. Er beschäftigt sich mit den frühen Ansätzen von Alexandra Kollontai, Inessa Armand und W.I. Lenin und zeichnet die Entwicklung der ersten sozialistischen Frauenorganisationen nach.
Im (deutlich längsten) Teil 2 wird klar, welchen riesigen Sprung vorwärts das revolutionäre Russland und die junge Sowjetunion in Bezug auf die Situation von Frauen gemacht hat; das an sich relativ rückständige Land überholte die ökonomisch fortgeschrittenen westlichen Länder in zahlreichen Aspekten. Scharinger zeigt im folgenden auf, wie sich Bürgerkrieg, Mangel und Bürokratisierung auf die Möglichkeiten zur Forcierung der Frauenbefreiung auswirkten. Er arbeitet dabei aber auch sehr deutlich heraus, dass nicht nur die schwierigen äußeren Umstände schuld am schleppenden Fortgang der Frauenbefreiung waren, sondern auch die beschränkten politischen Ansätze der kommunistischen Partei. Sogar für Kollontai, die führende Protagonistin der proletarischen Frauenbewegung im revolutionären Russland, war Frauenbefreiung übermäßig auf Mutterschutz orientiert.
Im Mittelpunkt von Teil 3 stehen die – überwiegend in Russland und dem deutschsprachigen Raum geführten – Diskussionen um eine neue Sexualmoral. Scharinger spannt dabei den Bogen der Auseinandersetzung von Ruth Fischer und Otto Rühle über die Kontroverse zwischen Kollontai, Armand und Lenin um „freie Liebe" bis hin zu A. Salkind, Felix Halle und Wilhelm Reich.
In Teil 4 analysiert Scharinger die verheerenden Auswirkungen des stalinistischen Bürokratismus auf die Geschlechterverhältnisse – darunter die Kriminalisierung der Homosexualität, das Verbot der Abtreibung, ein massiv gehypter Mutterkult und die Propagierung der bürgerlichen Kleinfamilie zur Reproduktion von sexistischen Rollenbilder.
Teil 5 beleuchtet die internationale Ebene der proletarischen Frauenbewegung und beschäftigt sich mit der Entwicklungsgeschichte des Internationalen Frauensekretariats und seines Verhältnisses zur Kommunistischen Internationale. In Teil 6 untersucht Johannes Wolf die Frauenpolitik der frühen KPD.
Mit Kommunismus und Frauenbefreiung legen wir nun den zweiten Band zum Themenbereich Frauenunterdrückung-Geschlechterverhältnisse vor. Die Arbeit Sozialistischer und marxistischer Feminismus. Positionsentwicklungen in den letzten 35 Jahren haben wir vor einigen Monaten heraus gebracht. Weitere Publikationen zu diesem Themenbereich sind in Arbeit.
Maria Pachinger
Inhalt
Editorial (Maria Pachinger)
Teil 1 Proletarische Frauenbewegung im vorrevolutionären Russland (Manfred Scharinger)
Frauenpolitik und russische Sozialdemokratie bis 1905
Theoretische Ausgangspunkte in der russischen Sozialdemokratie
Die Revolution von 1905
1905/1907: Der Kampf für proletarische Frauenorganisationen
Herbst 1907: „Arbeiterinnenverein für gegenseitige Hilfe"
Dezember 1908: Gesamtrussischer Frauenkongress
Februar 1913: 1. Frauentag
Bolschewiki 1914: Gründung der „Rabotnitsa" und neue Diskussionen
„Gesellschaft und Mutterschaft" (Kollontai)
Imperialistischer Weltkrieg und Frauenfrage
Frauen und Volksmiliz
Ehe und Liebe – Lenins Briefwechsel mit Inessa Armand
Februar 1917: Frauentag als Auftakt der Revolution
Vom Februar zum Oktober 1917
Schluss
Teil 2 Russische Revolution und Frauenbefreiung (Manfred Scharinger)
Die Oktoberrevolution und das Volkskommissariat für soziale Fürsorge
Kurs auf soziale und politische Gleichheit
Erster Gesamtrussischer Kongress der Arbeiterinnen und Bäuerinnen
Die Gründung des Ženotdel und die Delegiertenversammlungen
Bürgerkrieg und Kriegskommunismus
Hausarbeit, gesellschaftliche Arbeit und formale Gleichheit
„Arbeitspflicht" und Frauenbefreiung
Frauenarbeit in Sowjetrussland um 1920
Ženotdel und Frauenorganisierung
Ženotdel und Frauenpolitik der Komintern
Legalisierung der Schwangerschaftsunterbrechung
Neue Ökonomische Politik – Rückschlag für die Frauenrechte
Arbeiter-Opposition
1922: Einflussverlust des Ženotdel
Frauen und politische Organisierung im nachrevolutionären Russland
Bürokratisierung der UdSSR
„Sozialismus in einem Land"
Ehegesetz 1927
Die Auflösung des Ženotdel
Der sowjetische Osten und die Frauenbefreiung
„Hudjum" – der Angriff
Der Beitrag der Opposition
Trotzki: Frau, Familie und Sozialismus
Teil 3 Die Diskussion um eine neue Sexualmoral (Manfred Scharinger)
„Freie Liebe" und sozialistische Bewegung
Ruth Fischer: „Sexualethik des Kommunismus"
Otto Rühle „Die Sozialisierung der Frau"
Kollontais Konzeption einer neuen proletarischen Moral
Geschlechterbeziehung, neue Moral und Klassenkampf
Wie ein Glas Wasser
Lenins Position zur Sexualmoral
Salkinds Sublimationstheorie und die konservative Sexualmoral
Halle: „Geschlechtsleben und Straftat"
Wilhelm Reich
„Sexualrevolution" und „Sexualreaktion" in Russland
Reichs Konsequenzen aus dem Kampf um das „Neue Leben"
Kritik an Reichs Konzeption
Teil 4 Stalinismus und Frauenunterdrückung (Manfred Scharinger)
Arbeit und Gleichberechtigung
Zurück zur „Familienidylle" .
Abtreibungsverbot – ein reaktionäres Gesetz
Homosexualität als Verbrechen (1934)
Ehe und Scheidung
Trotzkis Analyse der sozialen Widersprüche in der „Verratenen Revolution"
Frauenbewegung ohne Ženotdel
Die Verfassung von 1936
Die „Hausfrauenbewegungen" der 1930er Jahre .
Zweiter Weltkrieg – das Frauenbild wird zementiert
Mutterkult und Frauenbild nach 1945
Partielle Verbesserungen – statt Gleichberechtigung
Strukturelle Krise der bürokratischen Planwirtschaft
Gorbatschow, Glasnost und Perestroika
Das bittere Ende
Verzeichnis der zitierten Literatur (Teil 1 bis 4)
Teil 5 Frauenbewegung und Kommunistische Internationale
Zur Geschichte des Internationalen Frauensekretariats
(1921-1926) (Manfred Scharinger)
Internationale proletarische Frauenbewegung vor 1914
Proletarische Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg
Reformismus und proletarische Frauenbewebung nach 1918
Anfänge der Komintern-Frauenpolitik
„Richtlinien für die kommunistische Frauenbewegung" (1920)
Am Weg zur Zweiten Konferenz
Zweite internationale Konferenz kommunistischer Frauen (Juni 1921)
III. Weltkongress (1921)
Die Thesen und Resolutionen des III. Komintern-Kongresses
Nach dem III. Weltkongress...
IV. Weltkongress (1922)
Die ungelöste Frage der Delegiertenversammlungen
V. Weltkongress und III. Frauenkonferenz
1925: 5. EKKI-Plenum und Konferenz zur Frauenarbeit
1926: Auflösung des Internationalen Frauensekretariats
Frauenpolitik und Komintern nach 1926
1945: Gründung der „Internationalen demokratischen Frauenföderation"
Zusammenfassung und Ausblick
Verzeichnis der verwendeten Literatur
Teil 6 „Frauenfrage" in der frühen KPD (Johannes Wolf)
Vom Widerstand gegen den Krieg zur Novemberrevolution 1918
Die Gründung der KPD und die ersten Schritte
Gründung der Kommunistischen Internationale
Die Vereinigung zur VKPD und die „Richtlinien" des Parteitages
Die I. Frauen-Reichskonferenz der KPD
Frauenarbeit der KPD nach 1923
Exkurs: Clara Zetkin
Frauenemanzipation und Rollenbilder in der (deutschen) ArbeiterInnenbewegung
Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Teil 7 Anhänge
Dokument 1 Fragebogen zur II. Internationalen Frauenkonferenz
Dokument 2 Frau, Familie und Revolution
Texte Leo Trotzkis zur Frauenbefreiung (1923 / 1925)