Entwicklung von Klassengesellschaft und Arbeiter/innen/bewegung in den letzten 100 Jahren
Griechische Linke zwischen Repression, Revolte und europäischer „Normalisierung"
Marxismus-Buchreihe Nr. 25, 2. Auflage Wien 2010, 600 Seiten A5, 18 Euro, ISBN 3-901831-21-5
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Vorwort
Jedes Jahr fahren zahllose österreichische und deutsche Tourist/inn/en nach Griechenland und besuchen dort diverse Strände und antike Ausgrabungen. Über die moderne griechische Geschichte mit ihren heftigen Klassenkonflikten wissen die meisten wenig oder nichts. Auch die vielen linken und „alternativen" Griechenland-Urlauber/innen sind mit der Widerstandsgeschichte des Landes kaum vertraut.
Dabei hatte sich in Griechenland während des Zweiten Weltkrieges, relativ gesehen, europaweit die stärkste linke Widerstandsbewegung gegen die NS-Besatzung entwickelt. Das Ergebnis war, dass die Arbeiter/innen/bewegung am Ende des Weltkrieges nirgends sonst so nah an einer Machtübernahme stand wie in Griechenland. Nach dem Abzug der Wehrmacht im Oktober 1944 befand sich de facto das ganze griechische Festland in der Hand der Partisan/inn/enarmee ELAS. Eine britische Invasionsarmee musste Athen im Dezember 1944 erst in schweren Kämpfen erobern, um so die imperialistische Kontrolle über das Land zu sichern.
Der schlussendliche Sieg der britischen Truppen und der griechischen Rechten war freilich nur möglich auf Grund der verheerenden Politik der griechischen stalinistischen Partei, der KKE. Welch fatale Folgen das stalinistische Konzept der Volksfront für die Arbeiter/innen/bewegung hat, wurde in der verratenen griechischen Revolution von 1944 noch viel deutlicher demonstriert als in Spanien 1936/37. Denn in Griechenland hielt die Partisan/inn/enarmee die Macht bereits in der Hand – und die KKE-Führung übergab sie freiwillig den „demokratischen Alliierten" der Sowjetunion und damit der herrschenden bürgerlichen Klasse. Dass das geradezu lehrbuchhafte Beispiel der Revolution in Griechenland 1944 in der internationalen Linken viel weniger diskutiert ist als das spanische, liegt wohl auch daran, dass die griechische Sprache international weniger zugänglich ist.
Das Ergebnis des griechischen Kampfes von 1944 hatte bedeutende Auswirkungen auch auf die Nachkriegsentwicklung von Europa. Schließlich war das strategisch wichtige Griechenland, anders als Jugoslawien, im Moskauer Abkommen den westlichen Alliierten als Einflusszone zugesagt worden. Eine Machtübernahme der griechischen Arbeiter/innen/bewegung hätte die zwischen Stalin und Churchill vereinbarte Nachkriegsordnung über den Haufen geworfen und zweifellos von Moskau unabhängige und antikapitalistische Strömungen in anderen Ländern wie Italien und Frankreich angefacht – mit unabsehbaren Folgen für die europäische Nachkriegsordnung.
Obwohl die KKE 1944 den entscheidenden Auftritt ihrer Geschichte verspielt hat, brauchte die griechische Bourgeoisie noch einen dreijährigen Bürgerkrieg von 1946 bis 1949, um ihre Herrschaft zu stabilisieren. Nach einer Liberalisierung der rechten Diktatur ab den frühen 1960er Jahren und dem Aufstieg einer neuen Massenbewegung setzte die herrschende Klasse Griechenlands mit der CIA im Hintergrund 1967 noch einmal auf eine brutale Militärdiktatur. Erst nach dem Sturz der Junta 1974 begann eine Periode der europäischen „Normalisierung".
Die vorliegende Arbeit ist der erste Versuch in deutscher Sprache, die Entwicklung der griechischen Arbeiter/innen/bewegung und Linken in den letzten Hundert Jahren mehr oder weniger systematisch von einem antikapitalistischen Standpunkt aus aufzuarbeiten. Teil 1 behandelt die „Vorgeschichte" der griechischen Revolution, das heißt die widerspruchsvolle Formierung einer kommunistisch geprägten Arbeiter/innen/bewegung in der Zwischenkriegszeit und ihre Spaltung in nahezu gleich starke stalinistische und trotzkistische Flügel. Teil 2 beschreibt den Aufstieg der KKE-geführten Partisan/inn/enbewegung zur hegemonialen politischen Kraft im Land und die Spannungen zwischen der antikapitalistischen Dynamik und den reformistischen Konzepten ihrer Führung. Teil 3 analysiert die griechische Revolution 1944 und zeigt, wie sie von der KKE-Führung auf Anweisungen aus Moskau schrittweise in die Niederlage geführt wurde. Teil 4 arbeitet den griechischen Bürger/innen/krieg in den späten 1940er Jahren auf, an dessen Ende schließlich die weitgehende Zerschlagung der griechischen Arbeiter/innen/bewegung stand.
Teil 5 zeigt, wie die USA, die 1947 von Großbritannien die Vorherrschaft über das Land übernommen hatten, in Griechenland ein repressives rechtes Regime unterstützten, das erst in den frühen 1960er Jahren etwas liberalisiert wurde. Teil 6 untersucht die griechische Junta von 1967 bis 1974 im nationalen und internationalen Kontext. Teil 7 behandelt den Übergang zu einer bürgerlichen Demokratie, den Aufstieg der PASOK und schließlich ihre erste lange Regierungsperiode von 1981 bis 1989, die noch mit einem Anspruch der gesellschaftlichen Veränderung begonnen wurde. Teil 8 schließlich dokumentiert die kapitalistische Modernisierung Griechenlands in den letzten 15 Jahren, seinen Aufstieg zu einem regionalen Wirtschaftszentrum und seine Verwandlung von einem Auswanderungs- in ein Einwanderungsland. All diese Perioden werden erneut speziell in Hinblick auf die Entwicklung der Arbeiter/innen/bewegung und der Linken untersucht.
Inhalt
Vorwort
I. Kommunismus in Griechenland vor dem Zweiten Weltkrieg
1. Die griechischen Kommunist/inn/en bis zur Stalinisierung
2. Die KKE bis zum Beginn der Besatzungszeit
3. Linksopposition und Trotzkismus vor dem Zweiten Weltkrieg
II. Die griechische Widerstandsbewegung
1. Die Formierung von EAM und ELAS
2. Der Aufstieg zur Massenbewegung
3. Verhandlungen und Konflikte in Ägypten
4. Der Beginn des Bürgerkrieges
5. Die Rebellion in Ägypten
6. Der Libanonvertrag
Exkurs 1: Deutsche bei der ELAS
Der antifaschistische Widerstand von Wehrmachtssoldaten in Griechenland
III. Die verratene Revolution
1. Britische Landung und Moskauer Abkommen
2. Der gescheiterte „friedliche Weg"
3. Der Kampf um Athen
4. Der Varkiza-Vertrag und die Folgen
5. Griechischer Trotzkismus 1941-1946
IV. Der Bürgerkrieg 1946-1949
1. Die langsame Neuausrichtung der KKE
2. Der Beginn des Bürgerkrieges und die Truman-Doktrin
3. Höhepunkt und Entscheidung im Bürgerkrieg
4. Zachariadis versus Vafeiadis
5. Die Niederlage
Exkurs 2: Das jugoslawische Beispiel
Die Kommunistische Partei Jugoslawiens zwischen multinationalem „Volksbefreiungskrieg", sozialer Revolution und alliierter Einflussnahme
V. Zwischen CIA-Diktatur und Liberalisierung
1. Fortgesetzte Repression
2. Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft
3. Exkurs: Das Zypernproblem
4. Liberalisierung und Massenbewegung
VI. Die Militärjunta 1967-1974
1. Die Obristendiktatur
2. Die Junta und die Bourgeoisie
3. Die Linke während der Junta
4. Die Zypernkrise und der Sturz der Militärdiktatur
VII. Metapolitefsi und die PASOK-Ära
1. Der kontrollierte Übergang zur bürgerlichen Demokratie
2. Die Etablierung der PASOK
3. PASOK an der Macht
4. Desillusionierung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik
5. Niedergang und Ende der PASOK-Regierung
6. KKE, KKE-es und die reformistischen Frauenorganisationen
7. Die griechische radikale Linke 1974-1989
VIII. Kapitalistische Modernisierung
1. Die rechte Wende und der Konflikt um Mazedonien
2. Kurswechsel in der Außenpolitik
3. Europäische „Normalisierung"
4. Die griechische Linke seit 1989
Anhang
Karl-Liebknecht-Bund (Internationale Kommunisten): Zur Lage –
Der Kampf in Griechenland (Auszug), 1944
Loukas Karliaftis: Zu Krieg und Revolution,
Rede in der Athener Debatte, 1946
Dimitris Koufontinas: Schlusserklärung im Prozess gegen die „Revolutionäre Organisation 17. November" vor dem Athener Sondergericht, 2003 ............566
Zitierte Literatur
Abkürzungsverzeichnis
Personenverzeichnis