Die VMW waren in Austria Metall AG (AMAG) umbenannt worden. Nach der erwähnten Schließung des Werkes in Wien und der Personalreduktion in Berndorf waren 1987 noch etwa 4.000 Beschäftigte übrig, etwa 3.000 davon in Ranshofen/Braunau (Oberösterreich). Anfang 1987 teilte die Konzernführung (trotz Gewinnen in fast allen Geschäftsjahren seit 1981) dann mit, dass es keinen Neubau der Elektrolyse in Ranshofen geben würde, was dort einen Verlust von etwa 1.500 Arbeitsplätzen bedeutete. Die Belegschaft reagierte mit Kampfbereitschaft.
Am 22. Mai fand eine erste große Kundgebung statt und am 31. Juni eine Straßenblockade, an der 3.000 Arbeiter/innen und Angehörige teilnahmen. Der GLB-Betriebsrat Stermole erklärte vor den Teilnehmer/inne/n, dass das erst der Anfang des Kampfes sei und dass die Belegschaft nichts mehr zu verlieren, sondern nur noch etwas zu gewinnen hätte. Am 3. Juli demonstrierten dann 200 AMAG-Beschäftigte vor dem oberösterreichischen Landtag in Linz. Unter diesem Druck beschloss der Landtag – nach stundenlangen Diskussionen – mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP, den Forderungen der Demonstrant/inn/en Rechnung zu tragen.
Nur vier Tage später, am 7. Juli, legten aber Bundeskanzler Vranitzky, Verstaatlichtenminister Streicher (beide SPÖ), der AMAG-Vorstand und Landeshauptmann Josef Ratzenböck (ÖVP) gemeinsam fest, dass die Elektrolyse nicht gebaut würde. Die Empörung in Ranshofen war groß. Betriebsratsobmann Franz Angsüßer sagte am Tag darauf sehr offen, was das Agieren der sozialdemokratischen Gewerkschafter antrieb: „Wir haben derzeit allergrößte Mühe zu verhindern, dass die Belegschaft völlig außer Kontrolle gerät.“
Am frühen Morgen des 8. Juli haben die AMAG-Arbeiter/innen in Massen ihre Arbeitsplätze verlassen und sich in der Werkskantine versammelt. Am Vormittag fand dann eine Demonstration zum Vorstandsgebäude statt. Der Betriebsrat erklärte (oder besser: musste erklären), dass der Kampf fortgesetzt werde. Angekündigt wurde ein „Marsch auf Wien“ - zum Bundeskanzleramt. An der „Informationsveranstaltung“ des Vorstandes am Nachmittag nahm kein/e einzige/r Arbeiter/in teil, lediglich etwa 100 Angestellte; nach kurzer Zeit war überhaupt nur noch der harte Kern der Prokuristen anwesend. Selbst die ÖGB-Landesexekutive beschloss unter dem Druck der aufgebrachten Belegschaft eine Resolution, in der sie sich „empört über das Verhalten des AMAG-Vorstandes und der in dieser Frage verantwortlichen Regierung“ zeigte.
Am 16. Juli marschierten die AMAG-Arbeiter/innen dann tatsächlich in Wien auf. An die 1.000 von ihnen waren mit 15 Bussen nach Wien gefahren und belagerten stundenlang das Bundeskanzleramt, in dem eine Delegation des Betriebsrates (neben der Mehrheitsfraktion um Angsüßer auch der GLBler Stermole) mit Streicher verhandelte. Schließlich formierte sich ein Demonstrationszug auf der Ringstraße, bei dem ein Flugblatt verteilt wurde, in dem die Bevölkerung Wiens zur Soli-darität mit der Belegschaft des Werkes in Ranshofen aufgefordert wurde. Die Arbeiter/innen hielten den Ring vor dem Parlament etwa eine Stunde lang besetzt. Um 13 Uhr wurden die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen, um 13 Uhr 20 wollte Streicher zu den Demonstrant/inn/en sprechen. Da er nur die Regierungspropaganda herunterleierte, wurde er rasch davongejagt. Dabei kam es zu den legendären Fußtritten gegen die Beine des Ministers.[81]
Letztlich war damit der Kampf aber auch schon vorbei. Der Betriebsrat organisierte keine weiteren substanziellen Protestaktionen oder Streiks. Der Personalabbau ging über die Bühne. 1996 wurde die angeblich bankrotte AMAG schließlich privatisiert, real verschenkt, und zwar um einen symbolischen Schilling an den Generaldirektor Klaus Hammerer (40%) und den Industriellen Herbert Turnauer mit seiner Con-stantia-Privatstif-tung (40%). Ein Jahr später schrieb die AMAG bereits wieder satte Gewinne. Heute beschäftigt die AMAG noch knapp 1.400 Arbeiter/innen und Angestellte.[82]
[81] Initiative für eine Bewegung aktiver Gewerkschafter/innen: Solidarität mit dem Kampf der AMAG-Arbeiter in Ranshofen!, in: Informationsbrief Nr. 1, August 1987, S. 1 und S. 3-5. Die „Initiative für eine Bewegung aktiver Gewerkschafter/innen“ war eine Vorfeldorganisation der IKL.
[82] Wegner 2012, S. 3