Andere Streiks in den 1960er Jahren

 

Der von der Bürokratie auf- und wieder abgedrehte große Metaller/innen/streik vom Mai 1962 sollte nach dem Plan der Sozialdemokratie sicherlich vor allem die aufgestaute Kampfenergie der Belegschaften verpuffen lassen. Das war auch durchaus der Fall. Gleichzeitig war der Streik aber auch eine Kampferfahrung, eine Erfahrung in kollektiver Aktion, die die potenzielle Kraft der Klasse spürbar machte. Und der Streik der Metaller/innen wirkte auch in Ansätzen belebend auf andere Sektoren. Es folgten eine Reihe kleinerer Arbeitsniederlegungen: Darunter waren der Gastgewerbestreik für die von den Bossen ständig hinausgezögerten Lohnerhöhungen, „wilde" Streiks gegen drohende Kündigungen und für höhere Löhne bei den Bergarbeitern von Grünbach (Niederösterreich) und Wolfsegg (Oberösterreich). Und gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie streikten auch die Belegschaften zweier Betriebe in Wien, nämlich die Pantherbrotwerke in Wieden sowie die Plastikfabrik Schmiedberger in Liesing.40

Eine größere Streikaktion gab es dann wieder im Jahr 1965. Am 23. März beteiligten sich rund 100.000 Bedienstete von Eisenbahn und Post an einem 24-stündigen Warnstreik. In beiden Bereichen ging es um Lohnverhandlungen, in beiden Fällen waren die Arbeitsniederlegungen weitgehend von der in diesem Bereich stark dominanten „Fraktion sozialistischer Gewerkschafter" (FSG) kontrolliert, also auf- und wieder abgedreht. Nach diesem Warnstreik kam es dann auch rasch zu einer Einigung zwischen den Gewerkschaftsverhandler/inne/n und den Dienstgeber/inne/n. Das Ergebnis war eine sieben-prozentige Lohnerhöhung sowie eine Erhöhung des Kindergeldes.41

Eine spezielle Art von Arbeitsniederlegungen waren die politischen Streiks gegen die Einreise des Kaisersohnes Otto Habsburg nach Österreich. Otto Habsburg hatte jahrzehntelang an den Thronansprüchen der Habsburger/innen festgehalten und erst 1961 – mäßig glaubwürdig – eine Verzichtserklärung unterschrieben, um nach Österreich einreisen zu können und eventuell auch die umfangreichen Besitzungen der ehemaligen Herrscher/innen/familie, die verstaatlicht worden waren, zu erlangen. Um die Frage der Einreise Habsburgs kam es ab 1963 zu massiven Konflikten in der ÖVP-SPÖ-Regierung. Während die ÖVP für die Einreise war, stellte sich die SPÖ, unterstützt von der FPÖ, klar dagegen. Im Zuge dessen organisierte die Sozialdemokratie auch mehrere kurze (meist einige Stunden dauernde) Warnstreiks: 1964 wurden 230.000 Streikstunden gegen die Einreise Habsburgs abgehalten, 1965 sogar 3,3 Millionen Streikstunden.

Während die Einreise Habsburgs bis 1966 aufgrund der Ablehnung von SPÖ und FPÖ keine Chance auf eine parlamentarische Mehrheit hatte, änderte sich das mit der Nationalratswahl 1966. Die ÖVP erlangte mit 48,4% der Stimmen eine absolute Mandatsmehrheit und gestattete umgehend die Einreise Habsburgs. In der Folge hielt sich Habsburg am 31. Oktober für einige Stunden in Tirol auf. Dagegen traten am 2. November bis zu 250.000 Lohnabhängige in den Streik (570.000 Streikstunden). Und zu einem Protestmarsch brachten die FSG-Betriebsräte/innen beachtliche 100.000 Arbeiter/innen auf die Straße. Der ÖGB-Vorstand verlangte von der nunmehrigen ÖVP-Alleinregierung die Zusicherung, dass Otto Habsburg kein Vermögen der Republik ausgehändigt werde. Die ÖVP erklärte in einem Schreiben an 80 Betriebsräte/innen etwas schwammig, dass Habsburg „nach derzeitiger Rechtslage" keine Vermögensansprüche an die Republik habe.42

Die 1950er und 1960er Jahre waren insgesamt von einer Stabilisierung des österreichischen Kapitalismus – im Rahmen des internationalen Langen Booms – geprägt. Die Streiks unter der ÖVP-geführten Koalitionsregierung waren überwiegend von der FSG-Bürokratie geleitet und kontrolliert. Das politische Klima war bis in die 1960er Jahre von konservativen Kräften dominiert. Mit den wiedereinsetzenden Problemen der Weltwirtschaft und der Regierungsübernahme einer mit einem Modernisierungsanspruch angetretenen SPÖ änderten sich auch die Rahmenbedingungen für den Klassenkampf in Österreich.

40 Arbeiterblatt 165, S. 4 und PVÖ: Kämpfende Arbeiterschaft, in: Arbeiterblatt Nr. 166, Juli 1962, S. 2

41 Karlhofer 1983, S. 39 und NEWS 2003

42 Karlhofer 1983, S. 39, wikipedia: Habsburger-Kannibalismus und apa: Der Habsburgerstreit (1958-1966),

auf: apa.at

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