Der Sieg des Kapitalismus gegen den so genannten „realen Sozialismus“ hatte Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft, auch im Westen. Die herrschenden bürgerlichen Klassen hatten ein neues Selbstbewusstsein, das auch noch durch einen Wirtschaftsaufschwung gestützt wurde. Die Arbeiter/innen/bewegung als ganze – und nicht nur ihre stalinistischen Teile – gerieten in die Defensive.
In einigen Ländern gab es dennoch auch in den 1990er Jahren erhebliche und teilweise auch erfolgreiche Klassenkämpfe: 1994 wurde in Italien die erste Berlusconi-Regierung durch Arbeiter/innen/streiks gestürzt, 1995 die französische Rechtsregierung von Alain Juppe. In den USA gab es eine Reihe von großen erfolgreichen Streiks (1997 bei UPS, 1998 bei General Motors, Bell Atlantic und Boeing, 2000 bei Verizon). In Österreich hingegen waren die 1990er Jahre ein neuer Tiefpunkt im Kampf der Lohnabhängigen.
Bezeichnend dafür war, dass die numerisch größten Arbeitsniederlegungen die von Beamt/inn/en waren, wobei sich besonders Polizist/inn/en und Lehrer/innen hervortaten. 1991 gab es fünf Warnstreiks für Gehaltsforderungen von um die 90.000 Lehrer/innen und anderen Beamt/inn/en. Am 11. Juni demonstrierten sogar etwa 16.000 Exekutivbeamt/inn/en (Polizei, Gendarmerie, Justizwache, Zoll) auf der Ringstraße und am Ballhausplatz in Wien für eine Dienstzulage und die Einbeziehung in das Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz. Die Auseinandersetzung endete mit einem Kompromiss.
Natürlich gab es auch einige andere kleinere Arbeitskonflikte, vor allem um 1990, während gegen Ende des Jahrzehntes fast keine Streiks mehr auftraten. Für die Jahre 1994, 1996, 1998 und 1999 weist die ÖGB-Streikstatistik null Streikende und folglich null Streiktage aus (und auch 1995 gab es österreichweit gerade einmal 60 Streikende mit jeweils 2 Streiktagen). 1990 streikten etwa 30 Beschäftigte der Psychiatrischen Klinik am AKH Wien fast einen Monat lang erfolgreich für mehr Planstellen. Von 3. bis 7. Mai 1990 legten insgesamt 1.567 Beschäftigte der Steirerbrau-AG die Arbeit nieder; die Unternehmensleitung musste das neue Vertriebskonzept zurücknehmen. 1993 traten etwa 1.200 Beschäftigte des AUA-Bordpersonals zur Verteidigung von Arbeitsplätzen in den Ausstand.[89]