GKB Zangtal/Voitsberg 1988


Im Braunkohlebergwerk Zangtal arbeiteten etwa 200 Bergarbeiter. Die Grube war Teil der GKB (Graz-Köflacher Bergbau AG), zu der auch noch die Werke Karlschacht und Oberdorf sowie die Zentralsortierung und die Zentralwerkstätte gehörten. Das waren insgesamt 1.600 Beschäftigte, zu denen noch 900 im Eisenbahnbereich kamen. Bereits im April 1987 hatten rund 100 Kumpel der GKB vor der Zentrale in Köflach gegen die drohende Kündigung von 120 Beschäftigten demonstriert; dadurch waren diese Kündigungen vorerst verhindert worden.

Ende 1987 kündigte der Vorstand dann aber an, dass die Grube im Zangtal 1990 und der Karlschacht 1992 geschlossen würden. Etwa 1.000 Arbeitsplätze waren dadurch bedroht. Von Politik und Vorstand wurde argumentiert, dass die polnische Kohle billiger sei, dass die GKB-Werke nicht genug Kohle liefern könnten (obwohl im Zangtal noch Kohle für zehn Jahre vorhanden war) und nicht rentabel seien. Der SPÖ-Minister Streicher sagte offenherzig, dass der Bergbau Zangtal ein „Eiterherd“ sei, der „aufgeschnitten und ausgedrückt werden“ müsse. Und so wurde auch dafür gesorgt, dass Zangtal mit Verlust bilanzierte: So wurden neue Maschinen vom Werk Zangtal gekauft und bezahlt, aber bereits nach einem Tag in ein anderes Werk verfrachtet. Zangtal wurde langsam, aber systematisch ausgesaugt. Und obwohl die Produktion auf demselben Niveau blieb, wurde die Anzahl der Arbeiter immer mehr reduziert.[85]

Als am 25. Jänner 1988 die Mitteilung kam, dass (nach der Überstellung von 10 Arbeitern nach Karlschacht im November 1987) weitere 29 Kumpel von der Grube Zangtal abgezogen werden sollten, bedeutete das, dass der Bergbau in Zangtal nicht mehr den Sicherheitsbestimmungen entsprechend durchgeführt werden konnte. Und dabei hatte es bereits 1987 50 Unfälle gegeben. Für die Bergleute im Zangtal stand mit dem nun geplanten Abzug von 29 Kollegen nicht nur die berufliche Zukunft auf dem Spiel, sondern auch die eigene Gesundheit.

Sie führten am 29. Jänner eine Betriebsversammlung durch, auf der einstimmig beschlossen wurde zu streiken. Die Zangtaler Belegschaft war in ihrer großen Mehrheit in der SPÖ organisiert und hatte einen Betriebsrat gewählt, der sich zur Gänze zur FSG bekannte. Die Belegschaft der Zangtaler Grube war sozial sehr einheitlich, nämlich sämtlich junge Männer (die einzige weibliche Beschäftigte war eine Reinigungskraft), die auch eine gemeinsame Freizeitkultur entwickelt hatten. Die Schwere der gemeinsamen Arbeit hatte ein hohes Maß an Zusammengehörigkeitsgefühl hervorgebracht. Die Belegschaft und die Betriebsräte hatten großes Vertrauen zueinander. Die Arbeiter akzeptierten den Betriebsrat um Josef Cus als ihren legitimen Vertreter. Andererseits entwickelte die Belegschaft derart viel Eigenaktivität, dass der Betriebsrat alle Entscheidungen in die Hände der Belegschaft legte und die Betriebsversammlungen zur höchsten Entscheidungsinstanz wurden.

Das Werksgelände und die Grube waren während der gesamten Dauer des Streiks besetzt. Keiner der Arbeiter hielt es lange zu Hause aus, jeden trieb es nach ein paar Stunden Schlaf wieder zur Grube. Dort gab es täglich mehrere Betriebsversammlungen (die erste bereits um 6 Uhr in der Früh), auf denen über die Fortsetzung des Streiks und seine aktuellen Aufgaben diskutiert und abgestimmt wurde. Den Bergarbeitern war klar, dass für einen erfolgreichen Widerstand eine Ausweitung ihres Kampfes auf die anderen GKB-Gruben und die Solidarität der arbeitenden Bevölkerung wesentlich waren. Mit Flugblättern zogen sie deshalb zu anderen GKB-Betrieben, und sie suchten auch die Unterstützung des GKB-Zentralbetriebsrates.

Die Ausdehnung des Streiks auf andere Betriebe scheiterte jedoch. Und die Gewerkschaftsführung zeigte mit Fortdauer des Streiks immer klarer, dass sie nicht auf der Seite der Bergarbeiter stand. Gemeinsam mit dem GKB-Vorstand versuchte sie die Bergarbeiter einzuschüchtern und zum Streikabbruch zu zwingen. So wurde der Streik der Zangtaler Bergarbeiter zum „wilden“ Streik, ohne politische und finanzielle Unterstützung durch die Gewerkschaftsorganisationen. Trotzdem trafen über  50 Solidaritätstelegramme ein und der Spendenaufruf des Betriebsrates erbrachte mehr als 80.000 Schilling. Aktive Solidarität erhielten die Streikenden aus ihrem persönlichen und lokalen Umfeld. Am 4. Februar führten etwa 300 Frauen, Kinder und Pensionist/inn/en in Voitsberg eine Solidaritätsdemonstration durch.[86]

Karl Haas, der Sekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie (MBE) wollte bei den Bergarbeitern für einen Streikabbruch werben. Er wurde von den aufgebrachten Arbeitern unter den Rufen „Verräter“, „Go Karli, go!“ und „Lauf Ha(a)se, lauf!“ aus dem Betrieb gejagt. Ab nun wurden die Streikenden von der MBE offen fallengelassen und diffamiert. Ihr Vorsitzender Sepp Wille bezeichnete den Kampf der Bergleute als „höchst unvernünftig“ und „rational nicht erklärbar“. Gleichzeitig verschärfte der GKB-Vorstand seine Gangart und drohte die Schließung der Grube an, aus „Sicherheitsgründen“. Tatsächlich war in der Grube ein Schaden aufgetreten; die Arbeiter wären auch bereit gewesen, ihn während des Streiks zu beheben. Allerdings – und das zeigte eine Schwäche des Streiks – beteiligten sich die 16 Angestellten (die „Steiger“), die für die Sicherheit zuständig waren, nicht am Arbeitskampf und sperrten sogar den schadhaften Schacht, sodass die Arbeiter die Behebung nicht vornehmen konnten.

Die Sicherheitsfrage wurde so immer mehr zum Druckmittel, und die Streikenden gerieten auch immer mehr unter Druck. Der Vorstand kündigte außerdem 29 Arbeiter (nicht die zur Versetzung vorgesehenen) und versuchte so, die Belegschaft zu spalten und zu erpressen. Die bürgerlichen Medien (inklusive der sozialdemokratischen AZ) standen dem Streik reserviert bis feindlich gegenüber, die Gewerkschaftspresse schwieg den Streik tot. Und auch die Betriebsratsvorsitzenden der anderen GKB-Betriebe stellten sich gegen den Streik und traten für die Realisierung des Vorstand-Konzeptes ein. Trotz einer „Einigung“ zwischen Vorstand und MBE-Führung (auf die Politik des Vorstandes!) stimmten die Zangtaler Kumpel am 4. Februar erneut einstimmig für die Fortsetzung des Streiks. Die AZ meldete dazu: „Grube Zangtal: Der Streik geht weiter. Gewerkschaft überrascht.“ Mit der Weiterführung des Streiks wurde immerhin der Vorstand zur Rücknahme der Kündigungen gezwungen. Mitgetragen wurde der neuerliche Streikbeschluss der Zangtaler jedenfalls auch von ihren Betriebsräten um Josef Cus.

Dieser gegenüber der Belegschaft loyale Betriebsratsobmann wurde nun zur Hauptzielscheibe für den GKB-Vorstand, die MBE-Führung und die bürgerlichen Medien. GKB-Vorstandsdirektor Prochaska hatte schon zuvor angekündigt, gegen die Betriebsräte eine Schadensersatzklage einzubringen, sollte der Streik weitergehen. Ab dem Zeitpunkt, als die Gewerkschaft dem Streik offen die Anerkennung versagte, wurde diese Drohung zu einer echten Gefahr für Cus und die anderen Betriebsräte. Dazu kam der schwer wiegende Vorwurf, die Sicherheit der Grube zu gefährden. Cus war in eine prekäre Situation geraten: Gewerkschaftlich isoliert und existenziell bedroht, nämlich mit dem völligen materiellen Ruin. Ein durch und durch ehrlicher Arbeitervertreter, war Cus verzweifelt und ratlos; schließlich hielt er das Kesseltreiben gegen ihn nicht mehr aus und trat für den Streikabbruch ein. Die Belegschaft war zuerst dagegen, folgte aber schließlich der Empfehlung ihrer Betriebsräte – auch in der Hoffnung, dass der Vorstand seine Versprechungen, bei Streikabbruch nochmals zu verhandeln, wahr machen würde. Wenige Tage nach Streikende legte Cus seine Betriebsratsfunktion zurück, aus „persönlichen Gründen“.[87]

Dieser Schritt zeigte, dass die Zangtaler Betriebsräte müde und ausgebrannt waren, dass sie keinen Ausweg mehr sahen. Sie trifft freilich keine Schuld an der Niederlage im Zangtal. Vielmehr haben sie mit ihrem Engagement gezeigt, was Arbeiter/innen/führer, die diesen Namen verdienen, schaffen können, nämlich einen entschlossenen, demokratisch organisierten Arbeitskampf. Der Grund für die Niederlage liegt darin, dass die Kumpel im Zangtal isoliert blieben und dass sie von der Gewerkschaftsbürokratie verraten wurden.

Und so war die Ausgangsposition für eine relativ kleine Belegschaft einer einzelnen Grube schwer. Sie waren angetreten, um sich gegen die Rationalisierungs- und Zusperrpolitik der Regierung Vranitzky zur Wehr zu setzen. Mit dem Besetzungsstreik stellten sie die Verfügungsgewalt des Vorstandes über das Werk in Frage. Ohne Unterstützung von anderen Betrieben war dieser Kampf kaum zu gewinnen. Dass die Kolleg/inn/en im Zangtal das versucht und diesen Kampf dennoch geführt haben, verdient den Respekt von allen klassenkämpferischen Lohnabhängigen.

Fast unnötig zu sagen, gab es keine sinnvollen Verhandlungen mit dem GKB-Vorstand. Die 29 Arbeiter wurden versetzt. Nur wenige Wochen später wurde auch gleich das erste Versprechen, dass nämlich die Versetzten keine Lohneinbußen haben würden, gebrochen, und ihr Stundenlohn wurde auf etwa 70 Schilling gesenkt. Und am 30. April passierte genau das, was die Kumpel mit ihrem Streik zu verhindern versucht hatten: Der erste von ihnen wurde „hinausgetragen“. Nicht einmal drei Monate nach dem Ende des Arbeitskampfes wurde der 29-jährige Hans Peter Gruber von herabstürzenden Gesteinsmassen verschüttet und starb wenige Stunden später an den Folgen.

Anfang Mai 1988 wurde in Voitsberg ein Brief an das Zentralsekretariat der SPÖ aufgegeben; beigelegt waren 15 Mitgliedsbücher der SPÖ. In diesem Brief wurde die Partei- und Gewerkschaftsführung angeklagt, dass sie sich gegen den Arbeitskampf gestellt hatten. Der Tod von Gruber sei „der traurige Beweis dafür, wie leichtfertig ihr euch über unsere Sorgen hinweggesetzt habt.“ Die Verfasser seien „zur Überzeugung gekommen, dass in unserer Partei offensichtlich Arbeiter keinen Platz mehr haben. Wir senden euch deshalb einen Teil der Mitgliedsbücher jener zurück, die unter diesen für uns bedrückenden Umständen aus der Partei ausgetreten sind.“[88]

 



[85] Haumer 2011, S. 102-103. Das Kapitel zu Zangtal in Haumers Artikel von 2011 ist zu guten Teilen ident mit der ebenfalls von ihm verfassten IKL-Broschüre „Der Streik der Zangtaler Bergarbeiter“ vom März 1988. Da diese Broschüre nur mehr schwer greifbar ist, verweise ich im Folgenden ausschließlich auf die Fassung von 2011.

[86] Haumer 2011, S. 103-105

[87] Haumer 2011, S. 105-108 und Johann Schögler: Bergarbeiter der Grube Zangtal: Im Streik, in: die linke Nr. 3/1988, S. 14

[88] Haumer 2011, S. 108-111 und IKL: Der Streik der Zangtaler Bergarbeiter, Schriftenreihe Betrieb und Gewerkschaft Nr. 7, März 1988, S. 14

Plakate


Plakat 9.jpg

Publikationen