Krankheit und Gesundheit bei Marx und Engels


Krankheit und Gesundheit bei Marx und Engels

von Manfred Scharinger

 

 

Die letzten Jahre und Jahrzehnte waren von einer fortgesetzten Aushöhlung der bestehenden Gesundheitssysteme gekennzeichnet. Ob es sich nun um die "Stabilisierung" der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland handelt, um die Versuche in Österreich, die "Blockade beim Sparen" in den Krankenkassen endlich zu beenden, um die Systemänderungen des polnischen Sozialsystems: Überall soll die soziale Sicherheit „effektiver“ gemacht und mehr auf Marktkonformität getrimmt werden. Der Appetit des Kapitals ist auch im Gesundheitswesen grenzenlos, aber er ist auch logisch und folgerichtig: In den medizinischen Bereich fließen in den entwickelten kapitalistischen Staaten im Schnitt zwischen 10 und 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – und es ist ein erklärtes Ziel des Kapitals, sich in diesem größten Sektor der Dienstleistungsbranche stärker zu verankern. Insofern wird sich dieser Bereich verstärkt zu einem wichtigen Teil der Klassenkämpfe der kommenden Jahre entwickeln. In einer solchen Situation ist aber auch immer ein Blick in die Geschichte, ein Blick auf die Analysen der Vorkämpfer/innen der Arbeiter/innen/bewegung nützlich.

Im folgenden Artikel wollen wir zuerst in den groben Zügen die Entwicklung der Gesundheitssysteme von Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert aufzeigen und dann uns der Frage widmen, welche Stellung Karl Marx und Friedrich Engels zu Fragen des Gesundheitswesens eingenommen haben.

 

Kapitalismus und Gesundheit

Im Kapital findet Karl Marx klare Worte, was das Verhältnis des Kapitals und der Kapitalist/inn/en zur Gesundheit der Arbeitenden betrifft:

"Après moi le déluge![1] ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird. Der Klage über physische und geistige Verkümmrung, vorzeitigen Tod, Tortur der Überarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? Im Großen und Ganzen hängt dies aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend."[2]

In dem von Marx im Kapital zitierten bürgerlichen Quellen wird mit dankenswerter Offenheit die Einstellung des Kapitals zur Gesundheit der Arbeitenden behandelt. So führte die Times 1861 aus: "Obgleich die Gesundheit der Bevölkrung ein so wichtiges Element des nationalen Kapitals ist, fürchten wir, gestehn zu müssen, dass die Kapitalisten durchaus nicht bei der Hand sind, diesen Schatz zu erhalten und wert zu achten... Die Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiter wurde den Fabrikanten aufgezwungen."[3] Und in den ausführlich von Marx zitierten offiziellen Reports wurde klar die Konsequenz der fortgesetzten Überarbeitung von Kindern und Jugendlichen in der Textilindustrie beschrieben: "Die Männer des West Riding wurden die Tuchmacher der Menschheit... die Gesundheit des Arbeitervolks wurde geopfert".[4]

Für die Kapitalist/inn/en waren Krankheiten der Arbeitenden stets nur in dem einen Sinne interessant, inwieweit sie deren Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte. Friedrich Engels schildert dies in seiner Lage der arbeitenden Klasse in England so: "Natürlich; die Furcht, entlassen zu werden, die Furcht vor der Brotlosigkeit treibt sie, trotz ihrer Schwäche, trotz ihrer Schmerzen in die Fabrik; das Interesse des Fabrikanten leidet es nicht, dass seine Arbeiter krankheitswegen zu Hause bleiben, sie dürfen nicht krank werden, sie dürfen sich nicht unterstehen, ins Wochenbett zu kommen – sonst müsste er ja seine Maschinen stillsetzen oder seinen allerhöchsten Kopf mit der Einrichtung einer temporären Abänderung plagen; und ehe er das tut, entlässt er seine Leute, wenn sie sich unterfangen, unwohl zu sein."[5]

Das war beileibe keine Einzelfälle. Krankheiten waren existenzbedrohend und hatten fatale Konsequenzen, die ganze Familien ins Elend stürzten. So beschrieb Adelheid Popp in ihrer Jugendgeschichte einer Arbeiterin das, was Krankheiten für ärmere Familien bedeuteten – nicht nur, dass Arbeitskräfte ausfielen und damit der dringend benötigte Lohn ausblieb, auch Medikamente und Arztbesuch mussten aus eigener Tasche bezahlt werden. Es war nicht Herzlosigkeit, wenn der Tod schwer leidender Angehöriger oft regelrecht herbeigesehnt wurde: "Mein Vater wurde von einer bösartigen Krankheit, einem Krebsleiden, befallen, wodurch wir in große Not kamen. Im Krankenhaus wollte der Vater nicht bleiben; da er aber ärztliche Hilfe und Medikamente haben musste, so verschlangen diese fast alles, was verdient wurde, und unsere Verhältnisse gestalteten sich immer jammervoller. So oft ich mit einem Rezept in die Apotheke geschickt wurde, klagte meine Mutter, wie lange das noch dauern würde. Eines Tages war es so weit…"[6] Im Falle von Adelheid Popp bedeutete der Tod des Vaters und eine schwere Erkrankung des älteren Bruders, dass die noch nicht einmal Zehnjährige mit der Arbeit als Strickerin beginnen musste.[7]

 

Kapitalismus und Sozialversicherungen

In nur wenigen Berufsgruppen hatte es schon vor dem 19. Jahrhundert eine Tradition von gegenseitiger Hilfe und Vorformen eines Versicherungsschutzes im Krankheitsfalle gegeben. Dazu gehörten besonders gefährliche Berufe wie die im mittelalterlichen Bergbau Beschäftigten, die Unterstützungsvereine auf Gegenseitigkeit gründeten. Die besonderen Gefahren des Bergbaus und die durch diesen begünstigten oder hervorgerufenen Erkrankungen führten schon früh zur Notwendigkeit einer sozialen Absicherung der Bergleute und ihrer Hinterbliebenen. Die erste urkundlich belegte Knappschaft oder Bruderschaft wurde von Bergleuten bei Goslar um 1260 gegründet.

Eingebettet war diese frühe Gegenseitigkeitsversicherung in eine Entwicklung, die im frühen Mittelalter in Nordeuropa mit Gründung von Gilden und Genossenschaften begonnen hatte, auf einem gegenseitigen Treueverhältnis beruhte und sich auf eine gemeinschaftliche Risikoübernahme und Hilfeleistung bei Tod, Brand, Viehsterben, Schiffbruch oder Gefangennahme orientierte.

Schon bald hatten die Landesherrn und die frühen Kapitalist/inn/en erkannt, dass diese Vereine zur gegenseitigen Unterstützung nicht ihren eigenen Interessen widersprachen. Sie waren zwar einerseits selbstorganisiert und damit potenzielle Instrumente zur Vertretung sozialen Protests, andererseits aber waren sie auch geeignet, in besonders gefährlichen Berufen, die auch eine längere Ausbildung benötigten, zu einem stabileren Arbeitskräftereservoir beizutragen. Dem entsprechend wurden den Knappschaftsvereinen Privilegien wie eine eigene Gerichtsbarkeit zuteil. Allerdings war klar, dass die Unternehmer/innen nicht für die Beiträge aufkommen wollten, auch wenn die Existenz von gegenseitigen Hilfsgenossenschaften im Krankheitsfalle in ihrem Sinne lag – so wurden später die Beiträge für Knappschaften und die ab dem 17. und 18. Jahrhundert zahlreicher werdenden Unterstützungskassen oft direkt vom wöchentlichen Lohn abgezogen, wurden also als Lohnbestandteil von den Unternehmer/inne/n einbehalten, die sich somit über einen Lohnbestandteil ein Mitspracherecht sichern konnten.[8]

Im 19. Jahrhundert entstanden vermehrt freiwillige Arbeiterkrankenkassen, die alle auf dem Prinzip der Selbsthilfe beruhten. Das Problem war allerdings, dass vor allem in den am schlechtesten bezahlten Berufsgruppen, wo die Hilfe am dringendsten gebraucht worden wäre und eine unregelmäßige Beschäftigung existierte, oft das Geld für die regelmäßigen Beiträge fehlte. Gerade diese Schichten blieben bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ohne jeden Schutz und waren auf die mildtätige Hilfe von Kirche und reichen Gönner/inne/n angewiesen. Verhinderte die Krankheit eine weitere Beschäftigung, war Betteln oft der einzige Ausweg.

Friedrich Engels schildert die Auswirkungen schlechter Ernährung und schlechter Lebensverhältnisse für das England der 1840er Jahre so: "Und wenn der Wochenlohn vor dem Ende der Woche verzehrt ist, so kommt es oft genug vor, dass die Familie in den letzten Tagen derselben gar nichts oder nur so viel Nahrung bekommt, als dringend nötig ist, sie vor dem Verhungern zu schützen. Eine solche Lebensweise kann natürlich nur Krankheiten in Masse erzeugen, und wenn diese eintreten, wenn vollends der Mann, von dessen Arbeit die Familie hauptsächlich lebt und dessen angestrengte Tätigkeit am meisten Nahrung erfordert, der also auch am ersten unterliegt – wenn dieser vollends krank wird, so ist die Not erst groß, so tritt die Brutalität, mit der die Gesellschaft ihre Mitglieder gerade dann verlässt, wenn sie ihrer Unterstützung am meisten bedürfen, erst recht grell hervor."[9]

Die Revolution von 1848 wurde zu Recht als deutlicher Hinweis interpretiert, dass in der Frage der sozialen Absicherung Verbesserungen herbeigeführt werden mussten, sollte die soziale Basis der Gesellschaft erhalten bleiben. Oder um es mit Giuseppe Tomaso di Lampedusa zu sagen: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, ist es nötig, dass alles sich verändert."[10] So wurden zur Mitte des 19. Jahrhunderts, als in Österreich eine Industrialisierung in großem Stil einsetzte, die Unternehmer/innen dieses Landes verpflichtet, ihren Mitarbeiter/inne/n einen bis zu vierwöchigen Krankenhausaufenthalt zu zahlen. Der Haken dieser Bestimmung war allerdings, dass die Unternehmer/innen auch die Möglichkeit hatten, die Erkrankten zu entlassen, womit das Gesetz nur allzu oft umgangen wurde.[11] Aus mehreren Gründen war Ende des 19. Jahrhunderts der Änderungsbedarf so drängend geworden, dass nahezu gleichzeitig in mehreren Ländern konservative Politiker eine Pflichtversicherung für die Arbeitenden einführten – im Deutschen Reich 1881, in Österreich 1889.

Die Kinderarbeit war bereits als soziales Problem der damaligen Industrienationen erkannt worden. Mehrere Armeen hatten wegen der vielen durch Mangelernährung und Kinderarbeit nicht voll entwickelten Kinder zunehmend Schwierigkeiten, genügend gesunde Rekruten zu finden. Schon 1840 musste die Kinderarbeit in den Fabriken des Königreichs Bayern vor allem wegen des zunehmenden Mangels an gesunden wehrdiensttauglichen Rekruten eingeschränkt werden. Auch in Preußen hatte der Geheime Regierungsrat Keller schon 1834 eine erschreckend schlechte körperliche und geistige Verfassung der Kinder und Jugendlichen festgestellt, die zum Teil schon seit ihrem sechsten Lebensjahr in Manufakturen und Fabriken arbeiteten. 1837 war die Beobachtung gemacht worden, dass in den industrialisierten Teilen des Landes die Zahl der diensttauglichen Rekruten hinter den Erfordernissen zurückblieb. In vielen Ländern war eine schwächliche Konstitution ganzer Jahrgänge zu verzeichnen. Keller wurde daraufhin vom preußischen Minister für Kultur, Unterricht und Medizinalwesen beauftragt, in den industriellen Zentren des Rheinlandes und des Bergischen Landes zu erkunden, "wie das Interesse des preußischen Staates an einem zur Sicherstellung eines gesunden Soldatennachwuchses erforderlichen ‚gesetzlichen Schutze der Körper- und Seelenkräfte der Jugend‘ mit den Interessen der Fabrikbesitzer an der Ausnutzung billiger kindlicher Arbeitskraft vereinbart werden könnte".[12]

Daneben wurde ein zweites Argument immer bedeutender: Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wuchsen in mehreren kapitalistischen Ländern Arbeiter/innen/parteien zu Massenparteien heran. Einerseits sollte das weitere Wachstum durch Unterdrückung und Illegalität gehemmt werden (so durch das Sozialistengesetz im Deutschen Reich, durch das die Sozialdemokratie von 1878 bis 1890 in die Illegalität getrieben wurde), andererseits aber durch soziale Reformen der proletarischen Bewegung der Boden entzogen werden.

In den Arbeiter/innen/parteien wurde eine zunehmende politische Bedrohung des inneren Friedens gesehen, zusätzlich sollten die autonom verwalteten Hilfskassen der Arbeiter/innen/bewegung geschwächt werden – denn sogar in harmlosen Unterstützungsvereinen wurde eine potenzielle Gefahr für Volk und Vaterland gesehen, waren sie doch dem direkten Zugriff von oben entzogen und konnten sie die Basis abgeben für weitergehende Aktivitäten der Arbeitenden.

Kaiser Wilhelm I. stellte November 1881 in seiner von Reichskanzler Otto von Bismarck im Reichstag verlesenen (und auf dessen Veranlassung verfassten) Kaiserlichen Sozialbotschaft, mit der die deutsche Sozialversicherung geschaffen wurde, auch die politische Doppelstrategie – Unterdrückung der autonomen Arbeiter/innen/bewegung bei gleichzeitigen sozialen Reformen von oben – als politischen Hintergrund der Reform klar:

"Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc., tun kund und fügen hiermit zu wissen: (...) Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Überzeugung aussprechen lassen, dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewusstsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. In Unseren darauf gerichteten Bestrebungen sind Wir der Zustimmung aller verbündeten Regierungen gewiss und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstages ohne Unterschied der Parteistellungen."[13]

Auch in Österreich-Ungarn war die Entwicklung ähnlich: Unter dem reaktionären Ministerpräsidenten Graf Eduard Taaffe (Ministerpräsident der österreichischen Reichshälfte 1869/1870 und von 1879 bis 1893) wurde einerseits die Pressefreiheit massiv eingeschränkt, ein polizeistaatliches Überwachungssystem aufgebaut und 1884 scharfe Gesetze gegen die sich formierende Arbeiter/innen/bewegung eingeführt.

In der Sozialpolitik wurden aber unter Taaffe auch neue Akzente gesetzt: 1883 wurde ein Gewerbeinspektionsgesetz geschaffen, das die Basis für die Kontrolle der Arbeitsbedingungen in den Unternehmen legte. Durch eine Gewerberechtsnovelle wurde 1885 die Fabrikarbeit für Jugendliche unter 14 Jahren verboten, für unter 16-jährige wurde sie eingeschränkt. So war für diese wie für Frauen die Nachtarbeit nun verboten. Der normale Arbeitstag wurde mit elf Stunden fixiert. Das Trucksystem – also die Entlohnung mit Waren oder Warengutscheinen, was den Unternehmer/inne/n die Gelegenheit geboten hatte, den Arbeiter/inne/n in eigenen Geschäften überhöhte Preise abzuverlangen – wurde untersagt. 1887 folgte schließlich ein Unfallversicherungsgesetz, das 1889 in Kraft trat. 1888 folgte das Krankenversicherungsgesetz. Hintergrund für alle diese Reformen unter Graf Taaffe war wie im Deutschen Reich der Versuch, der proletarischen Bewegung, die massiv auf soziale Absicherungen drängte, den Boden abzugraben und gleichzeitig eine soziale Stabilisierung herbeizuführen. 1906 erhielten die Angestellten als erste Gruppe der Arbeitnehmer/innen eine Pensionsversicherung.

Letztlich waren diese Maßnahmen zwiespältig: Einerseits wurden sie obrigkeitsstaatlich durchgesetzt und gingen vom Gedanken aus, der selbständigen Arbeiter/innen/bewegung Unterstützung zu entziehen. Sie sollten helfen, eine stabile Schicht von gegen die proletarische Bewegung immunisierten Arbeitenden herauszubilden.

Andererseits aber stellten sie einen bedeutenden sozialen Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation dar, die von privater adeliger, bürgerlicher oder kirchlicher Wohltätigkeit und der Willkür obrigkeitsstaatlicher Fürsorge charakterisiert war, die auf demütigenden Bedürftigkeitsnachweisen basierten und den guten Willen der Fürsorgebürokrat/inn/en voraussetzten.

Die Sozialversicherungen der 1880er und 1890er Jahre brachten an Beiträge gebundene und nach ihrer Höhe gestaffelte feste Rechtsansprüche auf Leistungen im Fall von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Invalidität oder Alter. Die Sozialversicherungen deckten zunehmend auch große Risiken wie langdauernde Krankheit oder schwere Unfälle ab, was den auf der Arbeiter/innen/solidarität beruhenden Hilfsvereinen und Solidaritätskassen der frühen Arbeiter/innen/bewegung aufgrund ihrer beschränkten Mittel nicht möglich war. Der Schutz erstreckte sich so auch auf die unteren Schichten der Lohnabhängigen, die nicht in der Lage gewesen wären, sich bei privaten Versicherungen auch nur halbwegs genügend zu versichern.[14]

Die Sozialversicherung blieb aber stets lückenhaft, deckte nur einen Teil von "Risiken" ab, gewährte einen unzureichenden Schutz usw. Und sie blieb mit ihrer Abhängigkeit der Leistungen von der Höhe der insgesamt eingezahlten Beiträge eine Institution, in der sich die Klassengesellschaft widerspiegelt, wofür die drei Klassen in den Spitälern ihrerseits wieder ein typischer Ausdruck waren/sind. Gemäß dem Versicherungsprinzip kommen die Versicherten durch ihre Beiträge grundsätzlich selbst für die Versicherungsleistungen auf, wobei die Beiträge gemäß der Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Ereignisse berechnet werden, für die Leistungen fällig werden. Diese versicherungsmathematischen Berechnungen sind auch der Hintergrund für die merkwürdige Praxis, auch natürliche "Ereignisse" wie Mutterschaft und Altwerden als "Risiko" zu sehen.[15]

Die Sozialversicherung war sowohl im Deutschen Reich als auch in der Habsburger-Monarchie auf die "horizontale" Solidarität der Versicherten in den gleichen Beitragsklassen ausgelegt: Die Lebenden zahlen für die Hinterbliebenen Verstorbener, die Gesunden für die Kranken und Invalid/inn/en, die Arbeitenden für die Arbeitslosen usw. Aber es gab/gibt keine "vertikale" Solidarität der Groß- mit den Kleinverdienern. Sie reproduzierten damit stets die Moral des individuellen Egoismus.[16]

 

Soziale Reformen von oben und die sozialdemokratische Taktik

Natürlich haben auch Marx und Engels zum jahrzehntelangen Prozess der Einführung von Sozialversicherungssystemen Stellung genommen. Waren sie doch einerseits indirekte, aber doch deutlich sichtbare Zeichen des Aufstiegs der Macht der proletarischen Bewegung, auf der anderen Seite waren mit der sozialdemokratischen Berufung auf die Erfolge der proletarischen Bewegung im sich langsam formierenden Sozialstaat ebenso deutliche Zeichen einer Verbürgerlichung und eines Arrangements der Arbeiter/innen/partei mit dem Kaiserreich verbunden.

Im Folgenden wollen wir uns zuerst damit auseinandersetzen, wie sich Marx und Engels zur Einführung der Sozialversicherungssysteme positionierten und welche Politik sie den parlamentarischen Vertretungen der Arbeiter/innen/parteien empfohlen hatten. Und danach wollen wir uns mit der Analyse von Krankheit und Gesundheit im Kapitalismus durch Marx und Engels näher auseinandersetzen.

Fassen wir noch einmal die Situation zusammen: Ende April/Anfang Mai 1883 waren im deutschen Reichstag die Gesetzentwürfe über eine Krankenversicherung der Arbeiter/innen und über die Änderung der Gewerbeordnung beraten worden. Beide Gesetze gehörten zu der von Bismarck Ende 1881 im Namen des Kaisers verkündeten sogenannten Sozialreform.

Das übergeordnete strategische Ziel war dabei, durch soziale Zugeständnisse die Arbeiter/innen an den Staat zu binden und damit den Druck seitens der sich formierenden Arbeiter/innen/bewegung zu verringern. Gleichzeitig sollten die Arbeitenden damit auch der sozialdemokratischen Bewegung entfremdet werden. Ganz im Sinne einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche war damit aber auch das Element der Repression gegen "unkooperative" Teile der Arbeiter/innen/bewegung verbunden.

Die Bismarcksche Sozialreform war damit letztlich eine Methode des Kampfes der herrschenden Klassen gegen die Arbeiter/innen/bewegung während des Sozialistengesetzes. Da in den ersten Jahren des Gesetzes die Zerschlagung der Sozialdemokratie nicht gelungen war, hatte Bismarck Ende 1881 versucht, dieses Ziel zu erreichen, indem die Peitsche durch das Zuckerbrot sozialer Zugeständnisse ergänzt wurde. Mit den am 17. November 1881 in der kaiserlichen Botschaft angekündigten sozialpolitischen Reformen (Sozialversicherungsgesetze zur Absicherung bei Unfall, Krankheit, Invalidität, eine Altersvorsorge etc.) war die Hoffnung verbunden, die Sozialdemokratie vom Proletariat zu isolieren, die Partei zu spalten und von einer breiteren Bewegung zu isolieren.[17]

Welche Taktik sollte die Partei und die Parlamentsfraktion gegenüber dieser Politik einer Sozialreform von oben einnehmen? Schon 1866 hatte Engels recht weitsichtig die Möglichkeit einer solchen Entwicklung vorausgesehen und eine politische Taktik skizziert, die sich klar gegen alle Absprachen zur Erreichung solcher Schutzgesetze richtete. Sollte ein Teil der Herrschenden Gesetze, die die Arbeiter/innen/rechte verbessern sollten, im Parlament einbringen, so würden sie das nur tun, um einer anderen Fraktion der Bourgeoisie zu schaden – die Arbeiter/innen seien daher auch nicht zu politischen Gegenleistungen verpflichtet. Verbesserungen in der Sozialgesetzgebung seien also erstens nur kleine Konzessionen an die reale Arbeiter/innen/bewegung, andererseits das natürliche Ergebnis der Konkurrenz innerhalb der herrschenden Schichten. Die Arbeiter/innen/bewegung müsse demgegenüber in ihrer selbständigen Agitation darauf beharren, dass die Arbeiter/innen kein Bündnis mit der Reaktion benötigen würden, das gelte auch von der bürgerlichen Opposition:

"Und wenn es dahin käme, dass die Reaktion dem deutschen Proletariat einige politische Scheinkonzessionen hinwerfen sollte, um es damit zu ködern – dann wird hoffentlich das deutsche Proletariat antworten mit den stolzen Worten des alten Hildebrandsliedes:

'Mit gerü scal man geba infähan, ort widar orte.'

Mit dem Speere soll man Gabe empfangen, Spitze gegen Spitze.

Was die sozialen Konzessionen betrifft, die die Reaktion den Arbeitern machen könnte – Verkürzung der Arbeitszeit in den Fabriken, bessere Handhabung der Fabrikgesetze, Koalitionsrecht usw. –,  so beweist die Erfahrung aller Länder, dass die Reaktion solche Anträge stellt, ohne dass die Arbeiter ihr das geringste als Entgelt zu bieten haben. Die Reaktion hat die Arbeiter nötig, die Arbeiter aber nicht die Reaktion. Solange die Arbeiter also in ihrer eignen selbständigen Agitation auf diesen Punkten bestehen, so können sie darauf rechnen, dass der Moment eintreten wird, wo reaktionäre Elemente dieselben Forderungen aufstellen, bloß um die Bourgeoisie zu schikanieren; und damit gewinnen die Arbeiter Erfolge gegenüber der Bourgeoisie, ohne der Reaktion irgendwelchen Dank schuldig zu sein. Wenn aber die Arbeiterpartei von der Reaktion nichts zu erwarten hat als kleine Konzessionen, die ihr ohnehin zufließen, ohne dass sie darum betteln zu gehen braucht – was hat sie dann von der bürgerlichen Opposition zu erwarten?"[18]

Sozialgesetze würden überhaupt erst in den Händen einer Arbeiterregierung, also in denen einer Regierung, die bereits den Weg zu einer nachkapitalistischen Gesellschaft öffnen würde, ihre wirkliche Bedeutung erlangen – bis dahin würden soziale Reformgesetze – wenn überhaupt – nur äußerst widerwillig und unvollständig umgesetzt werden, "wie es denn das Prinzip jeder liberalen Regierung in England ist, soziale Reformgesetze nur notgedrungen vorzuschlagen und die schon bestehenden, wenn irgend möglich, gar nicht auszuführen. Das fragliche Gesetz, wie manche andere in England, hat nur die Bedeutung, dass es in den Händen einer von den Arbeitern beherrschten oder gedrängten Regierung, die es endlich wirklich anwendet, eine mächtige Waffe sein wird, in den gegenwärtigen sozialen Zustand Bresche zu legen."[19]

Diese Politik, gegenüber sozialen Reformen äußerste Skepsis walten zu lassen, keine Zugeständnisse an bürgerliche "Bündnispartner" zu machen und auf der eigenen selbständigen Agitation als Arbeiter/innen/partei zu beharren, sollte die Richtschnur auch in den kommenden Jahren bleiben.

Inzwischen hatte Anfang der 1880er Jahre im Deutschen Reich eine Diskussion begonnen, in der ein dringender Reformbedarf festgestellt wurde. Es ging um die Anfänge einer staatlichen Sozialpolitik – in der öffentlichen Diskussion mit dem Namen Bismarck und einem angeblich von Staats wegen geförderten Sozialismus, einem Staatssozialismus, verbunden. Am 12. März 1881 fasste Engels, an Kautskys Artikel Der Staatssozialismus und die Sozialdemokratie anknüpfend, der im Parteiorgan Sozialdemokrat erschienen war, in einem Brief an Eduard Bernstein den Charakter des Staatssozialismus so zusammen: Es handle sich bei diesem um nichts andres "als einerseits feudale Reaktion, andrerseits Vorwand zur Geldpresse, mit der Nebenabsicht, möglichst viele Proletarier in vom Staat abhängige Beamte und Pensionäre zu verwandeln, neben dem disziplinierten Kriegs- und Beamtenheer auch ein dito Arbeiterheer zu organisieren".[20]

Offensichtlich aber schätzte Engels die Bedrohung, in die Bismarck und die Politik der sozialen Zugeständnisse die Partei gebracht hatte, doch als so groß ein, dass er, um die Partei gegen opportunistische Anwandlungen und eine Politik der Zugeständnisse zu immunisieren, im Frühjahr 1882 auch eine eigene Broschüre ins Auge fasste. Bebel, Kautsky und Bernstein wurden gebeten, ihm die Stenographischen Berichte des Reichstags, die einzelnen Entwürfe zur Unfallgesetzgebung und den Entwurf des Krankenversicherungsgesetzes zu schicken. Die Sache sei ihm seit längerer Zeit im Kopf herumgegangen, und er sehe wohl, dass es nötig sei, etwas darüber zu schreiben.[21]

Er habe vor, eine Reihe von Artikeln "über den nicht waschechten, in Deutschland grassierenden Sozialismus zu schreiben", darunter neben dem "Bismarcksche[n] Sozialismus" unter anderem auch über die "Arbeiterversichrung".[22] Dass die Bismarcksche Politik der Sozialgesetzgebung bis in die Partei hinein einen gewissen Einfluss entfalten konnte, dafür sprach auch, dass Engels die Aufgabe dieser Artikel darin sah, "eine Reihe von unklaren, durch Lassalle eingebürgerten, und auch noch hie und da von unsern Leuten nachgeplapperten Vorstellungen" zu kritisieren.[23] Engels bekam auch unter anderem von Bebel Material zugesandt, darunter den "Unfall- und Krankenversicherungsentwurf von 1882", aber nicht "den früheren, der den echten Bismarcksozialismus, ungetrübt durch Reichstagsabstimmungen" enthalten hätte.[24] Der ursprüngliche Entwurf der Sozialgesetze von 1881 war inzwischen in den parlamentarischen Debatten stark verwässert worden – weshalb Engels auch immer wieder auf den Entwürfen von 1881 insistierte, eben auf "der ersten Formulierung, in der Bismarck grade dem Flügelschlag seiner für den armen Mann begeisterten Seele freien Raum gibt", in der zweiten hätten ihm "die Bourgeoisabstimmungen die Flügel schon bedeutend gestutzt".[25]

Unter dem Eindruck dieser Entwicklung verzichtete Engels jedoch schließlich auf eine Realisierung dieser Publikationspläne – nicht zuletzt, weil sich die Gefahr, dass sich größere Teile der Partei als anfällig für das im Parlament Schritt für Schritt kleiner werdende Zuckerbrot der Sozialgesetze erweisen hätten können, als nicht so groß wie ursprünglich befürchtet herausstellte.

Anfang 1883 schien Engels ein "spezieller Angriff auf den Bismarck-Sozialismus veraltet zu sein". Selbst bei den "Schwachmatikussen im Reichstag, Blos, Geiser und Co. scheint, wo nicht das Gelüst, doch der Mut sich verloren zu haben. Warum also mit Kanonen auf Mücken schießen? Ich denke, wir lassen den Bismarck-Sozialismus sich selbst begraben."[26]

Ganz so einfach sollte sich die Frage der Taktik gegenüber den Sozialversicherungsgesetzen innerparteilich aber doch nicht darstellen. Am 2. Mai 1883, kurz vor der Verabschiedung dieser Gesetze im Reichstag, schrieb August Bebel an Engels, dass einige sozialdemokratische Abgeordnete für das Krankenkassengesetz stimmen wollten und nannte vor allem Moritz Rittinghausen und Max Kayser, die die Partei auf den Weg der Reformpolitik zu drängen suchten. Bei der Abstimmung über die Entwürfe am 31. Mai und 2. Juni 1883 fügten sich jedoch beide der Parteidisziplin und stimmten, wie es auch Engels befürwortete, mit einem Nein.[27]

Als Engels Mitte Mai 1883 an August Bebel antwortete, war diese Abstimmung jedoch noch nicht gelaufen. In dem Zusammenhang war Engels auch bereit, nötigenfalls eine Parteispaltung – sollte ein Teil der sozialdemokratischen Abgeordneten für die Sozialgesetze stimmen – in Kauf zu nehmen, ja sogar individuell mit der Partei zu brechen:

"Wenn in der Tat einige Abgeordnete für Bismarcksche Gesetze stimmten, also den Tritt in den Hintern mit einem Kuss auf den seinigen beantworteten, und wenn die Fraktion die Leute nicht ausstieß, so wäre ich allerdings ebenfalls in der Lage, mich öffentlich von der Partei loszusagen, die das duldet. Soweit ich weiß, wäre das indes nach der bestehenden Parteidisziplin, wo die Minorität mit der Majorität stimmen muss, unmöglich. Doch das weißt Du besser als ich. Ich würde jede Spaltung, unter dem Sozialistengesetz, für ein Unglück halten, da jedes Mittel der Verständigung mit den Massen abgeschnitten ist. Aber es kann uns aufgezwungen werden, und dann muss man den Tatsachen ins Gesicht sehn. Wenn also so etwas passiert – wo Du auch sein magst –,  sei so gut, mich zu unterrichten, und zwar sofort, denn ich bekomme meine deutschen Zeitungen immer erst sehr spät."[28]

Doch die innerparteiliche Auseinandersetzung mit dem opportunistischen Flügel der Sozialdemokratie, die sich gerade auch in Fragen der Sozialgesetzgebung zeigen sollte, war nicht mehr zu bändigen und gewann mit jedem neuen Vorstoß der Regierung wieder neue Nahrung. Wenn es dem Parteizentrum um Wilhelm Liebknecht, August Bebel, Karl Kautsky und (damals noch) Eduard Bernstein gelingen sollte, diese opportunistische Opposition in Zaum zu halten, so lag das nicht zuletzt daran, dass sich Bismarck und sein Staatssozialismus als weniger zugkräftig erwiesen hatten als befürchtet. Die Reformen waren zu inkonsequent, zu zaghaft und zu wenig radikal, ja erwiesen sich beim genaueren Hinsehen sogar als direkt reaktionär, sodass sie die sozialdemokratische Taktik, sich einer Reformpartnerschaft zu verweigern und auch bei Sozialreformen wie der Krankenversicherung nicht mit der Regierung zu stimmen, während der 1880er Jahre und während des Sozialistengesetzes nicht aushebeln konnten.

So etwa 1884, als sich am 9. Mai Otto von Bismarck im Reichstag während der Verhandlungen über die Unfallversicherungsvorlagen für das Recht auf Arbeit erklärt hatte. Bereits eine knappe Woche nach Bismarcks Ankündigung des Rechts auf Arbeit präzisierte dieser seine Losung bereits dahingehend, dass wie im England dieser Zeit Arbeitsfähige im Falle der Ablehnung ihnen zugewiesener Arbeit in ein Arbeitshaus oder Gefängnis transportiert werden sollten. In Deutschland sollten Arbeitslose zum Ausbessern von Wegen, Steineklopfen, Holzhauen usw. gegen angemessenen Lohn oder bloße Verpflegung herangezogen werden.[29]

Für Engels war diese Selbstdemaskierung natürlich eine positive Entwicklung – "Rascher als ich dachte hat Freund Bismarck die Hosen heruntergenommen und dem versammelten Volk den Hintern seines Rechts auf Arbeit gezeigt: das englische Armengesetz."[30]

Und obwohl dieser Offenbarungseid Bismarcks die Gefahren einer opportunistischen Entwicklung in der organisierten Arbeiter/innen/bewegung verkleinerten, musste Engels dementsprechende Neigungen bei einer Reihe sozialdemokratischer Abgeordneter registrieren:

"Welche Freude für Blos, Geiser und Co.,[31] die ja seit längerer Zeit auf dem Recht der Arbeit herumreiten und sich schon einzubilden schienen, sie hätten den Bismarck eingefangen! Und da ich einmal auf diesem Thema bin, so kann ich Dir nicht verschweigen, dass mich das Auftreten dieser Herren im Reichstag – soweit die schlechten Zeitungsberichte beurteilen lassen – und in ihrer eignen Presse mehr und mehr überzeugt, dass wenigstens ich nicht im entferntesten mit ihnen auf gleichem Boden stehe und nichts mit ihnen gemein habe."[32]

Das Gift des Opportunismus war also bereits in die Partei eingedrungen, wie Engels mit einiger Verbitterung feststellen musste: "Diese angeblich 'gebildeten', in Wirklichkeit absolut unwissenden und mit Gewalt nichts lernen wollenden Philanthropen, die man gegen Marx und meine langjährigen Warnungen nicht nur zugelassen, sondern in Reichstagssitze hineinprotegiert hat, scheinen mir mehr und mehr zu merken, dass sie in der Fraktion die Mehrzahl haben, und dass grade sie mit ihrer Liebedienerei gegen jeden staatssozialistischen Brocken, den ihnen Bismarck vor die Füße wirft, am allermeisten dabei interessiert sind, dass das Sozialistengesetz bestehn bleibt, und höchstens gegen solche wohlmeinende  Leute wie sie mild gehandhabt wird; woran wiederum nur Leute wie Du und ich die Regierung verhindern, denn wären sie uns los, so könnten sie ja leicht nachweisen, dass ihnen gegenüber kein Sozialistengesetz nötig ist. Die Enthaltung  und das ganze Auftreten bei dem Dynamitgesetz war auch bezeichnend. Wie soll das aber gehn bei den nächsten Wahlen, wenn diesen Leuten, wie es scheint, die sichersten Wahlkreise zufallen?"[33]

Um 1890, als eine neue Welle von Sozialgesetzen ins Parlament eingebracht worden waren, wiederholte sich die Diskussion der Jahre 1881/1884. Wilhelm II. gab Anfang 1890, also kurz vor den Reichstagswahlen, zwei Erlässe heraus. Sie sollten der sozialdemokratischen Wahlkampagne den Schwung nehmen. Im ersten Erlass wurde der Reichskanzler angewiesen, sich auf internationaler Ebene für die Schaffung einheitlicher Arbeiterschutzgesetze zu engagieren. Eine Konferenz dazu fand März 1890 in Berlin statt, auf der Beschlüsse über das Verbot der Kinderarbeit bis zu 12 Jahren, die Verkürzung des Arbeitstages für Jugendliche und Frauen und andere Maßnahmen, die die Gesundheit der Arbeitenden schützen sollten, gefasst wurden. Nach dem zweiten Erlass des Kaisers sollten die bestehende Arbeitergesetze überprüft werden, um die Lage der Arbeitenden in den staatlichen und privaten Unternehmen zu verbessern. Die Veröffentlichung der beiden Erlasse zeugte davon, dass der seit 1888 regierende Kaiser Wilhelm II., der nun sein "Steckenpferd, den Arbeiterfreund zu spielen",[34] entdeckt hatte, bereits davon ausging, dass die Bekämpfung der Arbeiter/innen/bewegung über die Verbote und die Strafmaßnahmen des Sozialistengesetzes gescheitert war. Das Anwachsen der proletarischen Bewegung sollte nun durch verstärkte soziale Demagogie und durch eine elastischere Handhabung der traditionellen Politik von Zuckerbrot und Peitsche aufgehalten werden.[35]

Noch im Frühjahr 1890 war Engels zuversichtlich, dass diese Avancen an der organisierten Arbeiter/innen/bewegung abprallen würden, zu durchsichtig wäre die Demagogie und zu sehr würde das Sozialistengesetz nachwirken und zu sehr wäre die Bewegung – etwa im Vergleich zu den 1870er Jahren – bereits gefestigt: "In Deutschland geht alles über die äußersten Wünsche hinaus. Der junge Wilhelm[36] ist positiv verrückt, also wie geschaffen, die alte Wirtschaft gründlich in Unordnung zu bringen, den letzten Rest von Vertrauen bei allen Besitzenden – Junkern wie Bürgern – zu erschüttern und uns das Terrain in einer Weise vorzubereiten, wie selbst der liberale Friedrich III. nicht gekonnt hätte. Seine Arbeiterfreundlichkeitsgelüste – rein bonapartistisch-demagogisch, aber verquickt mit konfusen Träumen von gottbegnadeter Fürstenmission – fallen bei unsern Leuten ganz rettungslos ab. Dazu hat das Sozialistengesetz gedient. Noch 1878 wäre damit noch einiges zu machen gewesen, einige Unordnung in unsre Reihen gebracht, jetzt aber unmöglich. Unsre Leute haben die preußische Faust zu sehr zu fühlen bekommen. Einige Schwächlinge, wie z.B. Herr Blos, und dann einige der 700 000 Mann, die uns in den letzten 3 Jahren neu zugelaufen, mögen in dieser Beziehung ein bissel wacklig sein, aber die werden rasch niedergestimmt, und ehe das Jahr aus, haben wir die schönste Enttäuschung bei Wilhelm über seine Macht über die Arbeiter und damit Umspringen der Liebe in Wut, der Liebkosung in Verfolgung."[37] Engels ging also davon aus, dass der Opportunismus keine Basis in der Partei mehr hatte, er wisse wohl, "dass es Leute gibt, selbst in der neuen Fraktion, die gern auf die Arbeiterfreundlichkeit von oben paktierend eingingen, aber die werden niedergestimmt, sobald sie den Mund auftun."[38]

Ganz so einfach sollte dies aber nicht werden. Gerade der Staatssozialismus, die sozialen Verbesserungen wie die staatliche Krankenfürsorge, sorgte dafür, dass sich opportunistische, anpasslerische Strömungen immer wieder von selbst regenerierten. Besonders der Fall des Sozialistengesetzes verstärkte diese Tendenzen zur Zusammenarbeit von Arbeiter/innen/organisationen und Staat – sowohl innerhalb wie außerhalb der sozialdemokratischen Partei.

Außerhalb der Partei war es Lujo Brentano, der auf die Sozialdemokratie zuging und sich für eine Aussöhnung von (bürgerlichem) Staat und (proletarischer) Partei, die sich natürlich politisch neu positionieren müsse, stark machte. Lujo Brentano war Ökonom, bürgerlicher Reformer und Mitbegründer des Vereins für Sozialpolitik. Wie Gustav von Schmoller, Hans Delbrück. Adolf Held, Adolph Wagner oder Werner Sombart gehörte er zur Gruppe der Kathedersozialisten. Damit wurde – meist polemisch-abwertend – eine Gruppe von Wissenschaftlern der Nationalökonomie bezeichnet, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts für eine staatliche Sozialpolitik einsetzten, um der revolutionären Sozialdemokratie entgegenzuwirken.[39]

Von Lujo Brentano wurde vorgeschlagen, den eingeschlagenen Weg der Arbeiter/innen/schutzgesetzgebung mit Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung weiterzuführen. Engels bemerkt dazu das Folgende, indem er besonderes Gewicht auf die Frage legte, ob die Arbeiter/innen/schutzgesetze in der Lage seien, die Lage des Proletariats zu verbessern oder nicht:

"Herrn Brentanos stets wiederholte Erklärung, dass Arbeiterschutzgesetzgebung und Gewerkvereinsorganisationen die Lage der Arbeiterklasse zu verbessern geeignet sind, ist keineswegs seine eigne Entdeckung. Von der 'Lage der arbeitenden Klasse in England' und der 'Misere de la philosophie' bis zum 'Kapital' und bis zu meinen jüngsten Schriften haben Marx und ich dies hundertmal gesagt, aber mit sehr starken Einschränkungen. Erstens beschränken sich die günstigen Wirkungen namentlich der Widerstandsfachvereine auf die Zeiten mittleren und flotten Geschäftsgangs (...) Und zweitens – von andern, weniger wichtigen Einschränkungen abgesehn – beseitigt weder der Schutz der Gesetzgebung, noch der Widerstand der Fachvereine die Hauptsache, die beseitigt werden muss: das Kapitalverhältnis, das den Gegensatz zwischen Kapitalistenklasse und Lohnarbeiterklasse stets neu erzeugt. Die Masse der Lohnarbeiter bleibt zu lebenslänglicher Lohnarbeit verdammt, die Kluft zwischen ihnen und den Kapitalisten wird immer tiefer und breiter, je mehr die moderne große Industrie sich aller Produktionszweige bemächtigt. Weil aber Herr Brentano den Lohnsklaven gern zum zufriednen Lohnsklaven machen möchte, deshalb muss er die vorteilhaften Wirkungen von Arbeiterschutz, Fachvereinswiderstand, sozialer Flickgesetzgebung usw. ins Kolossale übertreiben, und weil wir diesen Übertreibungen die einfachen Tatsachen entgegenzuhalten imstande sind – deshalb sein Zorn.[40]

Von größerer Sprengkraft war die innerparteiliche Opposition, die sich Juni 1892 nach einem Artikel in der Pariser Zeitschrift Revue bleue. Revue politique et litteraire neu formierte. Autor war Georg von Vollmar, der erste Vorsitzende der bayrischen Sozialdemokratie und in Sachen Opportunismus seit den 1880er Jahren kein Unbekannter mehr. Doch 1891/1892 wurde eine neue Qualität opportunistischer Degeneration erreicht. Schon im Juli 1891 hatte er sich in München in zwei öffentlichen Reden für Verhandlungen ausgesprochen, um auf der Grundlage der gegebenen Staats- und Gesellschaftsordnung Verbesserungen wirtschaftlicher und sozialer Art herbeizuführen. Dazu sollten auch Kooperation mit bürgerlichen Parteien eingegangen werden. Im Revisionismusstreit stand er daher auch in klarer Opposition zu August Bebel und dem marxistischen Zentrum um Karl Kautsky. 1892 hatte von Vollmar jedenfalls in der französischen Zeitschrift behauptet, dass sich das Erfurter Programm in einer Reihe von Forderungen dem von Bismarck und Wilhelm II. proklamierten Staatssozialismus annähere. Ergebnis dieses Vorstoßes von Vollmar war eine breite Diskussion in der sozialdemokratischen Presse, die auch im Parteiorgan Vorwärts geführt wurde.[41]

"Die Vollmariade", so Engels, beweise wieder, dass "der Mann alle Fühlung mit der Partei verloren hat. Es wird wohl in diesem oder dem nächsten Jahr zum Bruch mit ihm kommen müssen; er scheint die staatssozialistischen Schnurren der Partei mit Gewalt aufdrängen zu wollen."[42] Heute müsse man, so Engels in einem weiteren Brief zur leidigen Angelegenheit, "den faulen Elementen die Zeit geben, so faul zu werden, bis sie fast von selbst abfallen. Eine Partei von Millionen hat eine ganz andre Disziplin als eine Sekte von Hunderten."[43]

Engels kritisierte aber auch, wie die Parteiführung die Auseinandersetzung mit Vollmar geführt habe. Das Wort Staatssozialismus sei wie die soziale Frage ein "bloßer Journalistenausdruck, eine reine Phrase, wobei man sich alles und auch gar nichts denken kann". In der theoretischen Zeitschrift der Partei, der Neuen Zeit, sei eine Diskussion darüber zwar nicht zu verhindern, "aber in der politischen Debatte tut man Vollmar einen riesigen und ganz überflüssigen Gefallen, wenn man sich mit ihm herumzankt, was Staatssozialismus ist und was nicht, das ist eine Schraube ohne Ende und eine Kannegießerei ohne Zweck. Meiner Ansicht nach müsste man auf dem Parteitag sagen: lieber V[ollmar], was Du Dir unter Staatssozialismus vorstellst, ist uns Wurst, aber in Deinen Äußerungen hast Du das und das von der Regierung und unsrer Haltung ihr gegenüber gesagt, und da halten wir Dich fest, das ist ebenso sehr gegen die Taktik der Partei wie die Redensarten der Unabhängigen, und hier steh uns Rede. Diese seine direkten Arschkriechereien vor Wilhelm [II.] und Caprivi sind allein fassbar, aber auch sehr, und auf diesen Punkt wollte ich Dich vor dem Parteitag noch eben aufmerksam machen."[44]

Auf diesen Punkt der Klassenkollaboration, der Zusammenarbeit mit der Regierung sollte Vollmar festgenagelt werden, immerhin habe er ja, so in einem weiteren Schreiben, verlangt, die Partei solle den Reichskanzler Caprivi in der Sozialgesetzgebung "aktiv unterstützen", also die Parteimitglieder sollten "Regierungssozialisten werden", die Partei "Staatssozialismus treiben" und "dem jetzigen Deutschen Reich in sozialistischen Experimenten sekundieren".[45]

Das Parteizentrum um Bebel konnte diesen Angriff noch einmal abwehren, aber bereits zwei Jahre später begann 1896 die Revisionismusdebatte, die ebenfalls um Fragen wie die Reformierbarkeit des Kapitalismus oder darum kreiste, mit Sozialreformen Verbesserungen für die Arbeiter/innen und eine allmähliche Angleichung des Lebensstandards zu erreichen – doch das ist bereits nicht mehr Thema dieser Arbeit.

 

Marx und Engels zu Krankheit und Gesundheit

Wie aber haben Marx und Engels überhaupt Krankheit und Gesundheit im Verhältnis zum Kapitalismus analysiert? Im folgenden Abschnitt wollen wir uns zuerst damit beschäftigen, wie die von oben durchgeführten Sozialgesetze wie die Kranken- und Unfallversicherung eingeschätzt wurden, bevor wir genauer auf das grundsätzliche Thema, wie Marx und Engels sich zu Fragen der Gesundheit und Krankheit überhaupt stellten, eingehen.

Es ist unter anderem ein Text von Friedrich Engels, der neben dem Kapital von Karl Marx das meiste Material zu dieser Frage bietet – die bereits eingangs zitierte Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach seiner Rückkehr von England nach Deutschland hatte Engels Ende 1844 bis März 1845 dieses Werk verfasst. Engels erste größere eigenständige Veröffentlichung fiel in eine Zeit besonderer sozialer Spannungen in Deutschland, die im Aufstand der schlesischen Weber/innen von 1844 gipfelten und bereits Vorboten der revolutionären Ereignisse von 1848/1849 waren. Engels wandte sich – ausgehend von eigenen Anschauungen in England und unter Verwendung vieler ausführlich zitierter Belege – der sozialen Frage zu und beschrieb anschaulich die elenden Quartiere der Arbeiter/innen in den englischen Industriestädten. Geschildert wurde die Lebens- und Arbeitssituation des Proletariats, mit Kinderarbeit, Berufskrankheiten und hohen Sterblichkeitsraten. Bis heute besticht der Text durch seine Lebendigkeit und Unmittelbarkeit, aber auch durch seine Schlichtheit der Anklage, die durch unzählige Zitate untermauert wurde. 93

Dass das Proletariat ganz bewusst durch Überarbeit und elende Lebensverhältnisse buchstäblich zu Tode geschunden wurde, war ebenso Teil der Anklage wie die Schilderung von krankmachenden Produktionsmethoden, die zu frühem Tod führten, oder die Elendsquartiere in den proletarischen Vierteln, die die Ausbreitung von Epidemien förderten.

Der damals 24-jährige Friedrich Engels sieht das Verbrechen der Bourgeoisie zu Recht gerade darin begründet, dass diese um die Konsequenzen wusste, dass sie ganz bewusst das Leben ihrer Arbeiter/innen aufs Spiel setzte, nur um ihren Profit nicht zu gefährden.

Das begann bereits im Kindesalter, wo sich alle "medizinischen Zeugen" darüber einig waren, dass zum Beispiel "die Gesundheit aller beim Spitzenmachen beschäftigten Kinder bedeutend leidet, dass diese Kinder blass, zart, schwach, zu klein für ihr Alter und weit seltener als andre fähig sind, einer Krankheit zu widerstehen".[46]

Ausführlich werden auch die Verhältnisse in den englischen Bergbaudistrikten geschildert – auch hier sind Krankheiten direkte Folge der spezifischen Arbeit: So litten die Grubenarbeiter unter "lokalen Verkrüppelungen", sie haben "aber noch an einer Reihe von speziellen Krankheiten zu leiden, die ziemlich mit denen der übrigen Bergleute zusammenfallen und leicht aus der Art der Arbeit zu erklären sind".[47] Eine "eigentümliche Krankheit dieser Art Arbeiter" war etwa "das Schwarzspeien (black spittle), das aus einer Durchdringung der ganzen Lunge mit feiner Kohle entsteht und sich in allgemeiner Schwäche, Kopfschmerzen, Brustbeklemmung und schwarzer, dickschleimiger Expektoration äußert".[48]

Und auch hier war der Befund von Engels klar, nämlich dass die Krankheiten direkt auf die Gewinnsucht der Besitzenden zurückzuführen waren: Denn "in allen den Gruben, welche gut ventiliert seien, diese Krankheit gar nicht vorkomme, während oft genug Arbeiter, die aus gut ventilierten in schlecht ventilierte Gruben übergingen, von ihr ergriffen würden. Die Gewinnsucht der Grubenbesitzer, die die Anlegung von Ventilationsschachten unterlässt, ist also schuld daran, dass diese Krankheit überhaupt existiert."[49] Kurz: Um ein wenig mehr an Profit seien die Besitzenden zu allem bereit: Nur "damit dem Bourgeois etwas weniger rohes Material verdorben wird, müssen die Arbeiter die Gesundheit ihrer Glieder opfern".[50] Und bezüglich der Töpfereien konstatierte Engels trocken, dass dort aufgrund der gesundheitsgefährdenden Beschäftigung die Epilepsie weit verbreitet sei, "und auch das zum größeren Geldgewinn der Bourgeoisie!"[51]

Aber nicht nur die Fabrikanten, auch die Kleinbourgeoisie spiele bedenkenlos mit Leben und Gesundheit der Arbeitenden: "Die Krämer und Fabrikanten verfälschen alle Nahrungsmittel auf eine unverantwortliche Weise und mit der größten Rücksichtslosigkeit gegen die Gesundheit derer, die sie verzehren sollen."[52] Insgesamt analysierte Engels das Leben in den großen Städten und in den Arbeiter/innen/bezirken als lebensfeindlich und ungesund, das Leben dort sei "an und für sich der Gesundheit nicht zuträglich", "wie groß muss dieser nachteilige Einfluss einer abnormen Atmosphäre erst in den Arbeiterbezirken sein".[53]

Allerdings – und nun mit einem gehörigen Schuss Moral, der sich gegen die Trunksucht, den Alkoholkonsum, in den unteren Klassen richtete – wären für die schlechten gesundheitlichen Zustände auch die Proletarier selbst verantwortlich, denn es gebe "noch andere Einflüsse, die die Gesundheit einer großen Zahl von Arbeitern schwächen. Vor allem der Trunk."[54] Doch trotz dieser kleinen Schlenker blieb die Botschaft von Engels eindeutig: Es gehe der Bourgeoisie nur darum "die Armut der Arbeiter auszubeuten, die Gesundheit von Tausenden zu untergraben, damit nur sie sich bereichern".[55]

All das wurde von Engels gleich zu Beginn des Abschnitts Resultate zum Vorwurf des bewussten sozialen Mordes verdichtet – es ist eine der schönsten und prägnantesten Stellen in der ganzen Lage der arbeitenden Klasse:

"Wenn wir jetzt die Verhältnisse, unter denen die englische Arbeiterklasse der Städte lebt, in ziemlicher Ausführlichkeit betrachtet haben, so wird es nun an der Zeit sein, aus diesen Tatsachen weitere Schlüsse zu ziehen und diese wiederum mit dem Tatbestande zu vergleichen. Sehen wir denn zu, was unter solchen Umständen aus den Arbeitern selbst geworden ist, was für Leute wir an ihnen haben, wie ihr körperlicher, intellektueller und moralischer Zustand beschaffen ist.

Wenn ein einzelner einem andern körperlichen Schaden tut, und zwar solchen Schaden, der dem Beschädigten den Tod zuzieht, so nennen wir das Totschlag; wenn der Täter im voraus wusste, dass der Schaden tödlich sein würde, so nennen wir seine Tat einen Mord. Wenn aber die Gesellschaft Hunderte von Proletariern in eine solche Lage versetzt, dass sie notwendig einem vorzeitigen, unnatürlichen Tode verfallen, einem Tode, der ebenso gewaltsam ist wie der Tod durchs Schwert oder die Kugel; wenn sie Tausenden die nötigen Lebensbedingungen entzieht, sie in Verhältnisse stellt, in welchen sie nicht leben können; wenn sie sie durch den starken Arm des Gesetzes zwingt, in diesen Verhältnissen zu bleiben, bis der Tod eintritt, der die Folge dieser Verhältnisse sein muss; wenn sie weiß, nur zu gut weiß, dass diese Tausende solchen Bedingungen zum Opfer fallen müssen, und doch diese Bedingungen bestehen lässt – so ist das ebenso gut Mord wie die Tat des einzelnen, nur versteckter, heimtückischer Mord, ein Mord, gegen den sich niemand wehren kann, der kein Mord zu sein scheint, weil man den Mörder nicht sieht, weil alle und doch wieder niemand dieser Mörder ist, weil der Tod des Schlachtopfers wie ein natürlicher aussieht und weil er weniger eine Begehungssünde als eine Unterlassungssünde ist. Aber er bleibt Mord. Ich werde nun zu beweisen haben, dass die Gesellschaft in England diesen von den englischen Arbeiterzeitungen mit vollem Rechte als solchen bezeichneten sozialen Mord täglich und stündlich begeht; dass sie die Arbeiter in eine Lage versetzt hat, in der diese nicht gesund bleiben und nicht lange leben können; dass sie so das Leben dieser Arbeiter stückweise, allmählich untergräbt und sie so vor der Zeit ins Grab bringt; ich werde ferner beweisen müssen, dass die Gesellschaft weiß, wie schädlich eine solche Lage der Gesundheit und dem Leben der Arbeiter ist, und dass sie doch nichts tut, um diese Lage zu verbessern. Dass sie um die Folgen ihrer Einrichtungen weiß, dass ihre Handlungsweise also nicht bloßer Totschlag, sondern Mord ist, habe ich schon bewiesen, wenn ich offizielle Dokumente, Parlaments- und Regierungsberichte als Autorität für das Faktum des Totschlags anführen kann."[56]

Was allerdings könne damit unter Beweis gestellt werden? Nicht nur die Unmenschlichkeit der Bourgeoisie, sondern letztlich auch die ihres Staates, denn nun wurde klar, "dass die industrielle Größe Englands nur durch barbarische Behandlung der Arbeiter, nur durch Zerstörung der Gesundheit, durch soziale, physische und geistige Vernachlässigung ganzer Generationen aufrechterhalten werden kann".[57]

In seinem Vorwort zur Neuherausgabe der Lage der arbeitenden Klasse in England von 1892 ging Engels auf die Veränderungen seit 1844/1845 ein. Die im Buch beschriebenen schreiendsten Missstände seien inzwischen beseitigt oder doch weniger auffällig gemacht worden. So sei eine Kanalisation eingeführt oder verbessert worden, breite Straßenzüge quer durch viele der schlechtesten unter den "schlechten Vierteln", die er beschrieben habe, angelegt worden. Gaze Armenviertel seien inzwischen verschwunden. Aber was heiße das? "Ganze Bezirke", die er 1844 "noch als fast idyllisch schildern konnte, sind jetzt, mit dem Anwachsen der Städte, herabgefallen in denselben Stand des Verfalls, der Unwohnlichkeit, des Elends. Die Schweine und die Abfallhaufen duldet man freilich nicht mehr. Die Bourgeoisie hat weitere Fortschritte gemacht in der Kunst, das Unglück der Arbeiterklasse zu verbergen." Was Arbeiterwohnungen angehe, habe jedoch kein wesentlicher Fortschritt stattgefunden, alle Verbesserungen könnten "nur das Elend der Arbeiter einhegen, beseitigen können sie es nicht".[58]

Engels analysierte ebenfalls die Bemühungen im Lager der Besitzenden, die Krankheiten  einzudämmen – sie seien nicht auf den Wunsch des sozialen Ausgleichs zurückzuführen, sondern wiederum nur der Angst um die eigene Gesundheit geschuldet: "Die wiederholten Heimsuchungen durch Cholera, Typhus, Pocken und andre Epidemien haben dem britischen Bourgeois die dringende Notwendigkeit eingetrichtert, seine Städte gesund zu machen, falls er nicht mit Familie diesen Seuchen zum Opfer fallen will."[59]

Fassen wir zusammen: Rein quantitativ förderte Engels mit seiner Lage der arbeitenden Klassen in England eine Vielzahl an Material zutage. Eine Analyse des Zusammenhangs von Krankheit / Gesundheit und Kapitalismus im Allgemeinen war dies jedoch nicht. Engels hatte diese Beschränkungen wohl auch selbst gefühlt, als er im Abstand von fast einem halben Jahrhundert 1892 schrieb, das Werk trage "den Stempel seiner Jugend im guten wie im schlechten"[60] und überdies sei England inzwischen dem von ihm "geschilderten Jugendstand der kapitalistischen Ausbeutung entwachsen".[61]

Wir wollen in diesem Punkt Engels auch durchaus zustimmen: Gerade der jugendliche Charakter der Arbeit, wenn man so will seine Unbekümmertheit, machen den Reiz dieser Schrift bis heute aus. Und es ist wohl auch weder notwendig noch zu verlangen, dass jede Arbeit die Fragen Krankheit oder Gesundheit in ihrem Verhältnis zur kapitalistischen Produktionsweise in all ihrer Totalität diskutiert. Zu kritisieren ist aber eine andere Sache, die zwar nur indirekt, aber doch in unser Thema hereinspielt und die von eminent politischer Konsequenz ist.

 

Krankheit als Metapher

Wie auch Marx operiert Engels immer wieder mit der Metaphorik von Krankheit und Gesundheit in seinen Werken, insbesondere auch in der Lage der arbeitenden Klasse – was Marx betrifft, siehe dazu weiter unten.

Mehrfach bringt Engels das Bild der chronischen Krankheit im Gegensatz zur akuten, so etwa in der Verfolgung von Oppositionellen, insbesondere von Katholiken in der englischen bzw. irischen Geschichte des frühen 19. Jahrhunderts. Nach Engels war diese nun zwar "weniger heftig, aber universeller, ausdauernder (...) als die des Mittelalters. Die akute Krankheit ging in eine chronische über, die plötzlichen, blutdürstigen Wutanfälle des Katholizismus verwandelten sich in eine kalte, politische Berechnung, die die Heterodoxie durch einen gelinderen, aber anhaltenden Druck auszurotten suchte."[62] Und in einem Brief von 1894 war Italien für Engels das Land, "wo sich alle politischen Krankheiten zu einem akuten Entzündungsherd entwickeln".[63] Auch die Klassenspaltung sieht Engels – ein Bild, über das durchaus noch diskutiert werden könnte – als eine "Krankheit des sozialen Körpers":

"Die großen Städte sind der Herd der Arbeiterbewegung, in ihnen haben die Arbeiter zuerst angefangen, über ihre Lage nachzudenken und gegen sie anzukämpfen, in ihnen kam der Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie zuerst zur Erscheinung, von ihnen sind Arbeiterverbindungen, Chartismus und Sozialismus ausgegangen. Die großen Städte haben die Krankheit des sozialen Körpers, die auf dem Lande in chronischer Form auftritt, in eine akute verwandelt, und dadurch das eigentliche Wesen derselben und zugleich die rechte Art, sie zu heilen, an den Tag gebracht."[64]

Problematisch, ja direkt falsch wird die Metaphorik aber ein Stück weiter: Im Zusammenhang mit der irischen Einwanderung konstatiert Engels 1844: Sie habe einerseits die Lage der englischen Arbeiter degradiert, sie der Zivilisation entrissen und ihre Lage verschlimmert – aber auch andrerseits dadurch zur Austiefung der Kluft zwischen Arbeitern und Bourgeoisie und so zur Beschleunigung der herannahenden Krisis beigetragen. Und weiter: "Denn der Verlauf der sozialen Krankheit, an der England leidet, ist derselbe wie der einer physischen Krankheit; sie entwickelt sich nach gewissen Gesetzen und hat ihre Krisen, deren letzte und heftigste über das Schicksal des Kranken entscheidet. Und da die englische Nation bei dieser letzten Krisis doch nicht untergehen kann, sondern erneut und wiedergeboren aus ihr hervorgehen muss, so kann man sich nur über alles freuen, was die Krankheit auf die Spitze treibt."[65]

Ähnlich wird auch die Wirkung der Schutzzölle beschrieben: Bei freier Konkurrenz des Auslandes wäre die "Krankheit", also das "Elend der Ackerbaudistrikte", akut geworden und hätte ihre Krisen gehabt, durch die Schutzzölle sei aber die Krankheit in eine chronische verwandelt worden.[66]

In Bildern wie diesen verselbständigt sich die Metapher und gewinnt eine eigene politische Konsequenz – Engels ist, wie es Mathias Bohlender in den Marx-Engels-Jahrbüchern beschrieben hat, "ein Gefangener dieser Metaphorik" geworden, also der Beschreibung der sozialen Revolution "mit medizinisch-hygienischen Metaphern" und "als hygienischer Reinigungsakt".[67]

Bohlender ist in seiner Kritik Recht zu geben, wenn er an Engels kritisiert, dass dieser die Revolution als naturgesetzlichen Verlauf denkt, der von der Krise in die Reinigung und Erneuerung trete. Ebenfalls mit Recht kritisiert Bohlender, dass bei Engels die Frage ungelöst bleibt, wie nun aus den "zügellosen", "trunksüchtigen", "kriminellen" und mit der "stärksten Neigung zur Immoralität" ausgestatteten Proletarier/innen die Vorreiter/innen der sozialen Revolution werden könnten, wo doch eher eine "Degenerierung", eine "Demoralisierung" und eine Auflösung der Gesellschaft diagnostiziert, also eine kulturpessimistische Sicht geboten wird.[68] Engels greift hier übrigens auf Bilder zurück, die er bereits als 19-jähriger gebraucht hatte: In Bezug auf das Handwerk der Gerbereien konstatierte er, dass drei Jahre ihres Lebens hinreichen würden, um die Gerber "körperlich und geistig zu vernichten; von fünf Menschen sterben drei an der Schwindsucht, und alles das kommt vom Branntweintrinken".[69] Aber auch hier schon fällt die Verantwortung auf die Fabrikanten zurück, denn: All das "hätte wahrlich nicht auf eine so furchtbare Weise überhandgenommen, wenn nicht der Betrieb der Fabriken auf eine so unsinnige Weise von den Inhabern gehandhabt würde".[70]

Was Bohlender – und damit wollen wir zu unserem Bild aus der Lage der arbeitenden Klasse in England zurückkehren – allerdings nicht sieht, ist, dass damit der naturgesetzliche Vergleich der sozialen Revolution mit dem einer (physischen) Krankheit den jungen Autor dazu verführt, sich einer Theorie der absoluten Verelendung zuzuwenden: Man könne sich nur über alles freuen, was die Krankheit auf die Spitze treibt. Engels bleibt konsequent: Die englische Nation könne gar nicht untergehen, sondern müsse erneut und wiedergeboren aus der letzten Krisis hervorgehen – ein gewagter Schluss, wenn bedacht wird, wie beredt Engels zuvor über hunderte Seiten den frühen Tod von Proletarier/inne/n und die Ausweglosigkeit vieler Krankheiten beklagt hatte. Aber wenn es richtig war, dass die soziale Krisis nur im positiven Sinne gelöst werden könne – wenn also ein anderer Ausgang der sozialen Krise gar nicht denkbar war –,  dann war es auch logisch, dass selbst die stärkste absolute Verelendung, die tiefste Erniedrigung nur die Krisis beschleunigte und die Erniedrigten und Beleidigten damit dem positiven Ausgang näherbrachte.

Überhaupt ist die auf Krankheiten bezogene Metaphorik im Werk von Engels und vor allem auch von Marx nicht zu übersehen. So spricht er von der Religion als einer Krankheit, eben den "Krankheiten des Christentums".[71] Mit Anspielung auf das Osmanische Reich, den kranken Mann am Bosporus,[72] nannte Engels einen Artikel über die Habsburger Monarchie Der kranke Mann von Österreich[73] – auch in mehreren Briefen geistert bei Marx und Engels ein kranker Mann herum,[74] Russland selbst leide an einer Kaukasuskrankheit.[75] Und beim Journalisten Sigismund Borkheim konstatierte Marx ironisch die Krankheit der "Russophobie", die er sich bei Marx geholt, inzwischen "gefährliche Dimensionen" angenommen und die er, Marx, ihm "als die mildeste Krankheit zur Diversion seiner überflüssigen Lebensgeister inokuliert" habe.[76]

Auch im Kapital wird dieses sprachliche Spiel mit der Körperlichkeit deutlich, etwa wenn er immer wieder die trügerische Gesundheit der Geschäfte betont[77] oder wenn er den englischen Ökonomen Sir William Petty zitiert: "Geld ist nur das Fett des Staatskörpers, weshalb zu viel davon ebenso seine Beweglichkeit behindert, wie zu wenig ihn krank macht... wie Fett die Bewegung der Muskeln geschmeidig macht, fehlende Nahrungsmittel ersetzt, Unebenheiten ausfüllt und den Körper verschönt, so erleichtert das Geld die Bewegungen des Staates, bringt, wenn Teuerung im Inlande, vom Auslande Lebensmittel herein, begleicht Schuldenrechnungen... und verschönt das Ganze; allerdings', ironisch abschließend, 'ganz besonders die einzelnen Personen, die viel davon haben."[78]

Später wird Marx mehrfach den Parlamentarismus als Krankheit bezeichnen, so etwa im achtzehnten Brumaire, wo er "jene eigentümliche Krankheit" diagnostiziert, "die seit 1848 auf dem ganzen Kontinent grassiert hat, der parlamentarische Kretinismus, der die Angesteckten in eine eingebildete Welt festbannt und ihnen allen Sinn, alle Erinnerung, alles Verständnis für die raue Außenwelt raubt".[79] Und etwas weiter unten wird Louis Adolphe Thiers, erster Staatspräsident der Dritten Republik und von Marx zurecht als prinzipien- und skrupelloser Opportunist gebrandmarkt, als "parlamentarischer Held", der "vorzugsweise von der unheilbaren Krankheit des parlamentarischen Kretinismus angesteckt" sei, charakterisiert.[80] Mehrfach kehren Marx und Engels auch in Abgrenzung zu opportunistischen Abgleitflächen der deutschen Sozialdemokratie zu diesem Bild der parlamentarischen Krankheit zurück.[81] Aber damit haben wir uns schon weit von unserem ursprünglichen Thema – eben der Frage von Krankheit und Gesundheit bei Marx und Engels – entfernt. Denn hier geht's um eine bildhafte Sprache und nicht um unser Thema im eigentlichen Sinn, sie liegt damit auf derselben Ebene wie etwa das vom bekannten Sozialdemokraten Fritz Tarnow 1931 geprägte Bild von der Sozialdemokratie als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus.[82]

Selbst das Bild der Kinderkrankheit, das dann von Lenin mit Bezug auf die linksradikalen Kinderkrankheiten in der Kommunistischen Internationale wieder aufgegriffen werden wird,[83] wird bereits von Engels verwendet: In der Kritik an Eugen Dühring, der sich mit seinem verqueren Sozialismusbild seit Mitte der 1860er Jahre scharf gegen Marx positioniert hatte und in der deutschen Sozialdemokratie auf einigen Einfluss zählen konnte, konstatierte Engels eine Tendenz in der deutschen Intelligenz, sich zwar der Arbeiter/innen/bewegung anzunähern, dies aber gleichzeitig mit der Propagierung einer "vorlauten Pseudowissenschaft" – für Engels schlicht "Blech"[84] – zu verbinden: "Sogar der deutsche Sozialismus, namentlich seit dem guten Beispiel des Herrn Dühring, macht neuerdings recht erklecklich in höherm Blech und produziert diesen und jenen, der sich mit 'Wissenschaft' brüstet, von der er 'wirklich auch nichts gelernt hat'. Es ist dies eine Kinderkrankheit, die die beginnende Bekehrung des deutschen Studiosus zur Sozialdemokratie anzeigt, und von ihr unzertrennlich ist, die aber bei der merkwürdig gesunden Natur unsrer Arbeiter schon überwunden werden wird."[85]

Ab den 1860er Jahren verwendet vor allem Engels immer wieder das Bild der Kinderkrankheiten in Bezug auf die unausgereifte Arbeiter/innen/bewegung.[86] Dazu passt auch das Bild von Engels, wo die junge französische Arbeiter/innen/bewegung als ganzer Organismus gezeichnet wird: "sind die Massen aber erst einmal in Bewegung geraten, so sind sie wie ein gesunder Organismus, der die Kraft hat, Krankheitskeime und in geringer Menge sogar Gift auszuscheiden".[87] Dieses Bild findet sich mehrfach bei Marx und Engels, etwa wenn Engels auf den Gothaer Parteitag von 1875 anspielt. Von 22. bis 27. Mai 1875 fand in Gotha die Vereinigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands statt. Engels setzte auf die grundsätzliche Gesundheit der Partei und der Massen, die der Vereinigung auf einer politisch bedenklichen Grundlage entgegenstehen würde: "Eine gesunde Partei schwitzt auf die Dauer manches wieder aus, aber es ist ein langer und schwieriger Prozess, und die Gesundheit der Massen ist sicher kein Grund, ihnen ohne Not eine Krankheit einzuimpfen."[88]

Problematisch sind diese rhetorischen Griffe nur dann, wenn – wie im Beispiel von Friedrich Engels' Lage der arbeitenden Klasse – mit der metaphorische Sprache falsche politische Konsequenzen gezogen werden. Aber auch hier ist natürlich nicht die Sprache selbst das Problem, sondern unausgereifte Revolutionsperspektiven des 1844 jugendlichen Engels.

Kritischer wird es allerdings, wenn über körperliche Defizite politische Gegner/innen definiert und diese der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Charakterisierung von Louis Adolphe Thiers. Dieser hatte nach dem Sturz Louis Philippes 1848 eine konservative Politik verfolgt und die politische Linke bekämpft. Thiers hatte sich geweigert, Napoleon III. bei seinem Staatsstreich zu unterstützen. Dafür wurde er 1851 verhaftet und ins Exil getrieben. Von seiner Rückkehr ins Parlament 1863 an avancierte Thiers zur Leitfigur der liberalen Opposition gegen Kaiser Napoleon III. Obwohl er vor dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 zu den entschiedensten Kriegsgegnern gehörte hatte, wurde er zum Chef der Exekutive gewählt und sollte die Friedensverhandlungen mit Otto von Bismarck führen. Mai 1871 wurde unter seinem Befehl der Aufstand der Pariser Kommune mit größter Brutalität niedergeschlagen. Ohne Zweifel, die Feindschaft gegenüber Thiers war wohl nur zu begründet.

In jeder Zeile ist der Hass spürbar, den Marx über Thiers im Bürgerkrieg in Frankreich ausgießt: Es ist durchaus eine politische Charakterisierung, wenn Marx diesen Thiers als "Schwätzer",[89] "parlamentarische Geiferer",[90] "Staatsparasit"[91] oder "historische[n] Schuhputzer Napoleons"[92] abkanzelt. Aber es ist etwas anderes, wenn er ihn – mit Bezug auf dessen Kleinwüchsigkeit – als "Zwergmissgeburt",[93] "grässlichen Zwerg",[94] "missgebildete[n] Zwerg",[95] "boshafte[n] Zwerg"[96] bezeichnet oder höhnisch die auf seinen "Zwergschultern" lastende furchtbare Verantwortung verweist[97] und auf seine "Zwergsarme" anspielt, mit denen er das Schwert des ersten Napoleon geführt habe.[98] Marx schrieb ihm eine besondere "Eitelkeit" zu, "die für zwerghafte Leute so bezeichnend" sei,[99] er sei "begierig, sich zur Schau zu stellen wie alle zwerghaften Menschen",[100] ja es gebe nichts "Grotesk-Abscheulicheres als einen Däumling, der gern den Timur Tamerlan spielen will".[101] Da schießt wohl Marx übers Ziel – denn hier müssen physische Defizite nicht nur herhalten, um einen – zugegeben besonders unsympathischen – politischen Gegner der Lächerlichkeit preiszugeben. Sondern es wurde auch der Schritt von der politisch legitimen Überzeichnung zur Verhöhnung körperlicher Defizite, jetzt aber nicht mehr von Thiers alleine, sondern von Kleinwüchsigen im Allgemeinen, vollzogen.

In einer Reihe anderer Texte aber entwickelte Marx eine Reihe wichtiger Gedanken zur Kritik des Gesundheitssystems im 19. Jahrhundert. Schon in seinen frühesten Publikationen diskutiert Marx Fragen von Krankheit und Gesundheit in seinen Arbeiten. So heißt es etwa tiefsinnig in den Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags, noch ganz in linkshegelianischer Tradition: "Der menschliche Leib ist von Natur sterblich. Krankheiten können daher nicht ausbleiben. Warum wird der Mensch erst dem Arzte unterworfen, wenn er erkrankt, und nicht, wenn er gesund ist? Weil nicht nur die Krankheit, weil schon der Arzt ein Übel ist."[102] Überhaupt sei, so Marx, "jede Krankheit" nichts anderes "als in seiner Freiheit gehemmtes Leben".[103]

Doch diese Erörterungen dienen letztlich nicht der Kritik der Gesundheitssysteme, sondern einem drastischen Vergleich mit den Zensurbehörden des Staates: "Die Zensur geht davon aus, die Krankheit als den normalen Zustand, oder den normalen Zustand, die Freiheit, als eine Krankheit zu betrachten. Sie versichert der Presse beständig, dass sie krank sei, und mag diese die besten Proben ihrer gesunden Leibeskonstitution geben, sie muss sich behandeln lassen. Aber die Zensur ist nicht einmal ein literater Arzt, der je nach der Krankheit verschiedene innere Mittel anwendet. Sie ist ein Chirurg vom Lande, der nur ein mechanisches Universalmittel für alles kennt, die Schere. Und sie ist nicht einmal ein Chirurg, der meine Gesundheit bezweckt, sie ist ein chirurgischer Ästhetiker, der alles für überflüssig an meinem Körper hält, was ihm nicht gefällt, und abrasiert, was ihn widrig affiziert; sie ist ein Quacksalber, der den Ausschlag zurücktreibt, um ihn nicht zu sehen, ohne Sorge, ob er sich nun auf die edleren inneren Teile wirft."[104]

 

Materialismus und Fragen der Gesundheit

Mit der Entwicklung der materialistischen Geschichtsauffassung wird die Frage der Krankheiten bei Marx nun aber anders diskutiert. So etwa wird die weltweite Ausbreitung der Cholera neben den klimatischen Bedingungen auf die Besitzverhältnisse in Indien zurückgeführt und mit einer Kritik daran verbunden: "Der Samindar-Grundbesitz, das Raiatwari und die Salzsteuer, dazu das indische Klima, das waren die Brutstätten der Cholera – die von Indien aus die westliche Welt verheert –, ein treffendes und schreckliches Beispiel, wie menschliches Leid und Unrecht miteinander verbunden sind."[105] Dass in der gesellschaftlichen Basis die Ursache für Krankheiten gesucht werden müssten, galt natürlich für die britische Kolonialherrschaft im Allgemeinen: "Die schändliche Vernachlässigung aller Irrigationsanlagen seitens der britischen Beherrscher Indiens verursacht wieder einmal im Distrikt von Patna, als Folge der lang anhaltenden Dürre, ihren regelmäßigen Beitrag an Cholera und Hungersnot."[106]

Auch psychische Krankheiten werden nun von Marx auf die gesellschaftliche Basis zurückgeführt, wenn er rhetorisch fragt: "Wenn die sozialen Verbesserungen für das irische Volk solche Fortschritte machen, wie kommt es dann, dass andererseits die Fälle von Wahnsinn in diesem Lande seit 1847 und besonders seit 1851 so schrecklich zugenommen haben?"[107] Exakt zu diesem Thema veröffentlichte Marx Ende der 1850er Jahre zum ersten Mal einen direkt Gesundheitsfragen gewidmeten Artikel.[108] Und zum ersten Mal wird das Gesundheitswesen offen kritisiert: Die übliche Praxis, "das Einsperren in Arbeitshäuser", verschlimmere "nicht nur die Fälle von harmloser Geistesschwäche, für die sie eigentlich vorgesehen waren," sondern habe "auch die Tendenz (...), chronische und permanente Fälle zu schaffen, die man wahrscheinlich bei rechtzeitiger Pflege hätte heilen können. Aber für die leitenden Armenbehörden ist das entscheidende Prinzip die Sparsamkeit."[109]

Marx fasste seine Kritik an der Klassenmedizin des Jahres 1858 so zusammen: "Es wäre zu widerwärtig, hier noch Auszüge aus dem Bericht der Kommissäre über das St.Pancras Arbeitshaus in London wiederzugeben, das eine Art gemeines Pandämonium ist. Allgemein gesprochen, gibt es in England wenig Pferdeställe, die nicht wie Boudoirs erscheinen würden im Vergleich mit den Irrenabteilungen der Arbeitshäuser und in denen die Behandlung der Vierbeinigen nicht gefühlvoll genannt werden könnte im Vergleich mit der Behandlung der armen Geisteskranken."[110]

Was Marx' Artikel ihre besondere Sprengkraft verliehen, war die Tatsache, dass er immer wieder aus den offiziellen englischen Parlamentsberichten zitierte.[111] Seitenweise wurden etwa im ersten und im dritten Band des Kapitals die entlarvenden Berichte wiedergegeben.[112] Marx forderte geradezu dazu auf, diese Berichte genau zu studieren, so etwa in der Gründungserklärung der I. Internationale, der Internationalen Arbeiter-Assoziation: "Wenn ihr wissen wollt, unter welchen Bedingungen gebrochener Gesundheit, befleckter Moral und geistigen Ruins jener 'berauschende Zuwachs von Reichtum und Macht, ganz und gar beschränkt auf die besitzenden Klassen', produziert wurde und produziert wird durch die arbeitenden Klassen, betrachtet die Schilderung der Arbeitslokale von Druckern, Schneidern und Kleidermacherinnen in dem letzten 'Bericht über den öffentlichen Gesundheitszustand'!"[113]

Dass ins Kapital einige klare Gedanken zum Verhältnis von Kapitalismus und Zerstörung der Gesundheit aufgenommen wurden, davon konnten wir uns bereits eingangs überzeugen. Marx arbeitete eben klar heraus, dass "in der Tat Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten" eine "Lebensbedingung des Kapitals" sind.[114] Im Kapital wird stellenweise aber auch schon ein vergesellschaftetes Gesundheitssystem und eine kommunistische Herangehensweise an Fragen der Gesundheit skizziert. Etwa in der Gegenüberstellung von einer künftigen allseitigen Erziehung, die auf die Heranbildung vollseitig entwickelter Menschen ausgerichtet sein wird, mit dem derzeitigen Erziehungssystem, das trotz allen Aufwandes der Gesundheit der Kinder abträglich sein muss: Indem Marx auf einen soziologischen Kongress des Jahres 1863 verweist, zeigte er, "wie der einseitige unproduktive und verlängerte Schultag der Kinder der höhern und mittlern Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos vermehrt, 'während er Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder nicht nur fruchtlos, sondern absolut schädlich verwüstet'. Aus dem Fabriksystem, wie man im Detail bei Robert Owen verfolgen kann, entspross der Keim der Erziehung der Zukunft, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen."[115]

Gerade die Teilung der Arbeit führt zur einseitigen Beanspruchung und muss überwunden werden, soll die psychische und physische Gesundheit erhalten werden: "Eine gewisse geistige und körperliche Verkrüppelung ist unzertrennlich selbst von der Teilung der Arbeit im ganzen und großen der Gesellschaft. Da aber die Manufakturperiode diese gesellschaftliche Zerspaltung der Arbeitszweige viel weiter führt, andrerseits erst mit der ihr eigentümlichen Teilung das Individuum an seiner Lebenswurzel ergreift, liefert sie auch zuerst das Material und den Anstoß zur industriellen Pathologie."[116]

Im dritten Band des Kapitals umriss Marx nochmals den notwendigen Zusammenhang von Vergeudung der Gesundheit und kapitalistischem Arbeitsprozess: "Die kapitalistische Produktion, wenn wir sie im einzelnen betrachten und von dem Prozess der Zirkulation und den Überwucherungen der Konkurrenz absehn, geht äußerst sparsam um mit der verwirklichten, in Waren vergegenständlichten Arbeit. Dagegen ist sie, weit mehr als jede andre Produktionsweise, eine Vergeuderin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern auch von Nerven und Hirn. Es ist in der Tat nur durch die ungeheuerste Verschwendung von individueller Entwicklung [möglich], dass die Entwicklung der Menschheit überhaupt gesichert und durchgeführt wird in der Geschichtsepoche, die der bewussten Rekonstitution der menschlichen Gesellschaft unmittelbar vorausgeht. Da die ganze Ökonomisierung, von der hier die Rede, entspringt aus dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, so ist es in der Tat gerade dieser unmittelbar gesellschaftliche Charakter der Arbeit, der diese Verschwendung von Leben und Gesundheit der Arbeiter erzeugt."[117]

Der Kapitalismus geht eben äußerst verschwenderisch mit der Gesundheit der Arbeitenden um, wie ein abschließendes Zitat aus dem dritten Band des Kapitals nochmals klar ausführt:

"Wie es die Kombination der Arbeiter und ihre Kooperation ist, die die Anwendung der Maschinerie auf großer Stufenleiter, die Konzentration der Produktionsmittel und die Ökonomie in ihrer Anwendung erlaubt, so ist es dies massenhafte Zusammenarbeiten in geschlossnen Räumen und unter Umständen, für die nicht die Gesundheit der Arbeiter, sondern die erleichterte Herstellung des Produkts entscheidend ist – es ist diese massenhafte Konzentration in derselben Werkstatt, die einerseits Quelle des wachsenden Profits für den Kapitalisten, andrerseits aber auch, wenn nicht kompensiert sowohl durch Kürze der Arbeitszeit wie durch besondere Vorsichtsmaßregeln, zugleich Ursache der Verschwendung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter ist."[118]

Auch Friedrich Engels kam 1872 in der Wohnungsfrage genauer auf den Zusammenhang von Gesundheitszustand und sozialer Frage zu sprechen. Weshalb, so sein spezifischer Ansatz in der Wohnungsfrage, würden die Kapitalisten die Arbeitenden nicht in ihren Vierteln verrecken lassen, sondern seien an einer Verbesserung der Wohnsituation in den proletarischen Milieus interessiert?

Ausgangspunkt war für Engels hier die Tatsache, dass die schlechten Viertel die Brutstätte diverser Seuchen bildeten.  Die "verheerende Krankheiten verbreiten in der verpesteten Luft und dem vergifteten Wasser dieser Arbeiterviertel ihre Keime; sie sterben dort fast nie aus, entwickeln sich, sobald die Umstände es gestatten, zu epidemischen Seuchen". Aber – und jetzt komme das Interesse der Kapitalisten ins Spiel – diese Krankheiten "dringen dann auch über ihre Brutstätten hinaus in die luftigeren und gesunderen, von den Herren Kapitalisten bewohnten Stadtteile. Die Kapitalistenherrschaft kann nicht ungestraft sich das Vergnügen erlauben, epidemische Krankheiten unter der Arbeiterklasse zu erzeugen; die Folgen fallen auf sie selbst zurück, und der Würgengel wütet unter den Kapitalisten ebenso rücksichtslos wie unter den Arbeitern."[119]

Selbst noch in der Wohltätigkeit ist das bewegende Moment das selbstsüchtige Interesse der oberen Klassen – und genau das war der wirkliche Grund für die bürgerliche Unterstützung, denn: "Sobald dies", nämlich der wirkliche Ausgangspunkt für Seuchen und Epidemien, "einmal wissenschaftlich festgestellt war, entbrannten die menschenfreundlichen Bourgeois in edlem Wetteifer für die Gesundheit ihrer Arbeiter. Gesellschaften wurden gestiftet, Bücher geschrieben, Vorschläge entworfen, Gesetze debattiert und dekretiert, um die Quellen der immer wiederkehrenden Seuchen zu verstopfen."[120] Das galt sogar für das rückständige Deutschland: "Indes, wer langsam geht, geht sicher, und so entstand auch bei uns schließlich eine bürgerliche Literatur der öffentlichen Gesundheit und der Wohnungsfrage, ein wässeriger Auszug ihrer ausländischen, namentlich englischen, Vorgänger, dem man durch volltönende, weihevolle Phrasen den Schein höherer Auffassung anschwindelt."[121]

Auch der hohe Alkoholkonsum der Arbeitenden hätte seine Ursache in den elenden sozialen Verhältnissen, er sei "ein notwendiges Produkt ihrer Lebenslage" und "ebenso notwendig wie Typhus, Verbrechen, Ungeziefer, Gerichtsvollzieher und andere gesellschaftliche Krankheiten, so notwendig, dass man die Durchschnittszahl der der Trunksucht Verfallenden vorher berechnen" könne.[122] Und weil die proletarische Wohnungsnot ebenso wenig ein Zufall sei wie Krankheiten, sondern "eine notwendige Institution", könne sie "mitsamt ihren Rückwirkungen auf die Gesundheit usw. nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird"[123] – mit anderen Worten: Der Kapitalismus macht krank, die beste Kur gegen Krankheiten ist die Umwälzung der Gesellschaft.

Welche Bedeutung Marx und Engels Gesundheitsfragen zumaßen, lässt sich unter anderem auch an dem "Fragebogen für Arbeiter" ablesen, den Marx 1880 auf Bitte des Herausgebers der französischen Zeitschrift La Revue socialiste, Benoit Malon, verfasst hatte.[124] Hier hieß es unter anderem:

"15. Berichten Sie über die Anzahl der Arbeitsräume, die den verschiedenen Zweigen des Gewerbes dienen, und beschreiben Sie jenen Teil des Arbeitsprozesses, an dem Sie mitwirken, nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch in bezug auf die Muskel- und Nervenanspannung, die die Arbeit erfordert, und die allgemeinen Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeiter."[125] Und weiter unten: "36. Wieviel Jahre kann in Ihrem Gewerbe ein Arbeiter von durchschnittlicher Gesundheit seine Arbeit ausführen?"[126]

Noch in den letzten Lebensjahren interessierte sich Engels im Briefwechsel mit August Bebel für die Frage, inwiefern ärztliche Untersuchungen den Gesundheitszustand von Prostituierten heben würden. Hier kam die skeptische Einstellung von Engels gegenüber Ärzten zum Tragen, statt dessen erwartete sich Engels eine Hebung des Gesundheitszustandes von der – allerdings gesellschaftlich nicht durchsetzbaren – Freigabe der Prostitution:

"Die ärztliche Untersuchung ist rein für die Katz. Wo sie hier eingeführt wurde, nahm die Syphilis und Gonorrhöe zu. Ich bin überzeugt, die Instrumente der Polizeiärzte sind bei Übertragung von Geschlechtskrankheiten sehr wirksam, zur Desinfektion nehmen sie sich schwerlich die Zeit und Mühe. Man soll den Mädeln gratis Kurse über Geschlechtskrankheiten zugänglich machen, da werden sich die meisten schon selbst in acht nehmen. Blaschko hat uns einen Aufsatz zugeschickt über die ärztliche Kontrolle und muss auch zugeben, dass sie absolut wertlos ist, wenn er konsequent schlösse aus seinen eignen Voraussetzungen, müsste er auf absolute Freigebung der Prostitution und Schutz der Mädel gegen Ausbeutung schließen, aber das scheint in Deutschland rein utopistisch."[127]

 

Marx und seine Krankheiten – eine persönliche Geschichte

Was wir in dieser kleinen Arbeit über Marx und Engels bisher ausgespart haben, war ihr persönliches Verhältnis zu Krankheit und Gesundheit. Gerade das aber wäre an sich ein unerschöpfliches Thema. Hier geht's jetzt nicht um einige schnoddrige Aussagen, wie dass die "vielberühmte weichliche Sentimentalität nur eine den Bourgeoisfrauen eigentümliche Klassenkrankheit" sei,[128] die sicherlich wegen dieser Pauschalierung Erstaunen hervorrufen könnte.

Hier geht es schon eher darum, dass schon ein flüchtiger Blick in den Briefwechsel von Marx und Engels klar zeigt, dass Fragen der Krankheit einen unglaublich breiten Raum in ihrer Korrespondenz einnehmen. In unzähligen Briefen wird das Thema Krankheiten ausgebreitet, und das nicht zufällig. Verantwortlich dafür war ohne Zweifel nicht Engels. Ihm machten – schon nach dem Tod von Marx – in den letzten Lebensjahren Krankheiten schwer zu schaffen, aber trotzdem hatte er ein persönlich recht entspanntes Verhältnis zu diesem Thema. So etwa spricht Engels, der Frühjahr 1895 bereits unheilbar an Speiseröhrenkrebs erkrankt war und von großen Schmerzen gepeinigt wurde,[129] in seinem letzten Brief mit einem bemerkenswerten Schuss Humor davon, dass sich "in dem Kartoffelfeld auf meinem Hals endlich eine Krisis anzubahnen" scheint, "so dass die Schwellungen geöffnet werden können und Erleichterung eintritt. Endlich! es besteht also Hoffnung, dass diese lange Geschichte eine Wendung nimmt. Und es ist auch hohe Zeit, mit meinem mangelnden Appetit usw. bin ich ziemlich heruntergekommen."[130] Noch der letzte Satz in diesem Brief war typisch für Engels: "Ich habe nicht die Kraft, lange Briefe zu schreiben, so lebt denn wohl. Ich trinke auf Deine Gesundheit einen Humpen lait de poule [geschlagenes Eigelb mit Zucker] , dem ein Schuss cognac vieux [alter Kognak] zugesetzt ist."[131]

Bei Marx lag der Fall anders. Er war seit seiner Studienzeit trotz einer offensichtlich "ungemein robuste[n] Konstitution" ein kranker, ja sogar zeitweise ein schwerkranker Mann.[132] Viele seiner Werke, darunter nicht zuletzt auch das Kapital, wurden durch Krankheiten in ihrer Fertigstellung teils um Jahre verzögert und im schlechteren Fall sogar verhindert. So litt der 36-jährige Marx, um nur ein beliebiges Jahr herauszunehmen, an Furunkeln, einem Leberleiden, Eiterbeulen, gewaltsam angeschwollenen Lippen, scheußlichen Zahnschmerzen, starker Augenentzündung, ekelhaftem Husten[133] und hatte – nach dem Tod seines geliebten Sohnes Musch – "so tolle Kopfschmerzen, dass Denken und Hören und Sehn mir vergangen sind", wie Marx an Engels berichtete.[134]

Auch die weitere Leidensgeschichte von Marx liest sich nicht anders: Hämorrhoiden, Rheumatismus, Gallen- und Leberanfälle usw. Dass die Krankheiten psychosomatische Ursachen gehabt haben dürften, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. So berichtete Ehefrau Jenny Marx 1857 an Engels, dass sie Besuch von Edgar Bauer, einem Junghegelianer, gehabt hätten, worüber sich Karl Marx so aufregte, dass er "nicht figürlich, sondern wirklich zum Brechen kam".[135] Wenn Marx steigenden Arbeitsdruck verspürte, war eine Flucht in die Krankheit, waren Krankheitsschübe die Folge. Ein Leberanfall stellte sich genau zur Zeit ein, als Marx das Angebot erhalten hatte, für eine US-amerikanische Enzyklopädie Artikel zu übernehmen, was angesichts der angespannten Finanzlage von Engels begeistert aufgenommen worden war. Anstatt sich an die Arbeit zu machen, wurde Marx krank und begann Dänisch zu lernen...[136]

Auch die Verzögerungen der Fertigstellung des ersten Bandes des Kapitals waren stets mit Krankheitsschüben verbunden, wobei heute wohl nicht mehr genau festzustellen sein würde, was nun genau Ursache, was Folge war. Arnold Künzli fasst den Wechsel von Überarbeitung und Krankheit mit Arbeitsunfähigkeit so zusammen: Die "selbstmörderische Art von Arbeiten trug selbst den Charakter einer Flucht und bereitete den Rückfall in eine Periode schwerer Erkrankung und totaler Inaktivität vor".[137]

Engels sah diesen Zusammenhang wohl deutlich, wenn er nach Fertigstellung des ersten Bandes des Kapitals, was mit einer plötzlichen dramatischen (aber letztlich kurzfristigen) Verbesserung des Gesundheitszustandes von Marx einherging, schrieb: "Es ist mir immer so gewesen, als wenn dies verdammte Buch, an dem Du so lange getragen hast, der Grundkern von allem Deinem Pech war und Du nie herauskommen würdest und könntest, solange dies nicht abgeschüttelt. Dies ewig unfertige Ding drückte Dich körperlich, geistig und finanziell zu Boden, und ich kann sehr gut begreifen, dass Du jetzt, nach Abschüttelung dieses Alps, Dir wie ein ganz andrer Kerl vorkommst."[138]

Schon in seinen Vorarbeiten zur Dissertation finden sich erste Gedanken zu Krankheit und Gesundheit bei Marx, der zum Schluss kam, dass Krankheit einer Entfremdung zwischen Körper und Geist entsprachen. In seiner Auseinandersetzung mit den Theorien von Epikur und Plutarch kam er zum Schluss: "Die Gesundheit, als der identische Zustand, vergisst sich von selbst, da ist gar keine Beschäftigung mit dem Körper; diese Differenz beginnt erst in der Krankheit."[139] Und nicht nur Karl Marx, sondern auch seine Frau, seine Kinder und seine engere Umgebung kamen zur Vermutung, ja zur Gewissheit, dass seine chronischen Krankheiten – zumindest teilweise – psychische Ursachen haben müssten.[140] Das war auch Marx in seinem berühmten Brief an den Vater, den der damals 19-jährige 1837 schrieb, selbst schon irgendwie klar geworden: "Vor Ärger konnte ich einige Tage gar nichts denken", aus "Verdruss über Jennys Krankheit und meine vergeblichen, untergegangenen Geistesarbeiten, aus zehrendem Ärger, eine mir verhasste Ansicht zu meinem Idol machen zu müssen, wurde ich krank"...[141]

Befremdlich mag bei all dem erscheinen, dass sich ausgerechnet Marx milde ironisch über das Verhalten bei Krankheiten von seiner Frau Jenny im Speziellen und von Frauen im Allgemeinen äußern konnte – "wie alle weiblichen Kranken verzweifelt sie immer an den Ärzten, die sie gerade in Kur haben".[142]

Wir wollen es damit bewenden lassen: Der letzte Abschnitt zeigt, dass auch die Vordenker/innen des Sozialismus Menschen aus Fleisch und Blut waren, Menschen mit erheblichen Schwächen, was sich gerade im Verhältnis zu so existenziellen Fragen wie Krankheit und Tod zeigen musste; oder wie es Marx 1865 im Album seiner Tochter Jenny als seine Maxime formulierte: "Nihil humani a me alienum puto".[143]

 

* * *

 

Als Abschluss einer Arbeit über Gesundheit und Krankheit bei Marx und Engels wollen wir vom Persönlichen nochmals zum Allgemein-Politischen zurückkehren. Als Zusammenfassung eignet sich wahrscheinlich das eingangs angeführte Zitat über das Verhältnis von Kapitalismus und Krankheit am besten: Das Kapital ist, so Marx, "rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird. Der Klage über physische und geistige Verkümmrung, vorzeitigen Tod, Tortur der Überarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? Im Großen und Ganzen hängt dies aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend."[144]

Diese Einschätzung ist heute noch genauso aktuell wie im 19. Jahrhundert. Der Kapitalismus wird die Gesundheit der Arbeitenden bedenkenlos ruinieren, und er wird die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen zerstören – nicht, weil die einzelnen Kapitalist/inn/en böse wären, sondern weil der Widerspruch von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung bei Strafe des Untergangs im Kräftespiel der freien Konkurrenz ihnen keine andere Wahl lässt.

Im Vergleich zu Engels' Lage der arbeitenden Klassen in England haben sich Form, Intensität und Ausprägung von Ausbeutung und Untergrabung der Gesundheit seit­her geändert, nicht aber der Inhalt: So gehört der nackte Wirtschaftsliberalismus derzeit zumindest in den imperialistischen Ländern nicht zum Repertoire der Ausübung von– soziale Absicherungen sind doch, auch wenn derzeit eine unverkennbare Tendenz zur Aushöhlung dieser Errungenschaften gegeben ist, in den meisten kapitalistisch-hochentwickelten Ländern in der einen oder anderen Form ein anerkannter Eckstein bürgerlicher Herrschaft.

Das ist auch kein Zufall: Denn eine Vergeudung von Arbeitskraft und Arbeiter/innen/leben wie im 19. Jahrhundert ist auch für das Kapital zunehmend zum Problem geworden. Die Ausbildung von Facharbeitskräften ist teuer und langwierig, die Arbeitskraft von Facharbeiter/inne/n muss möglichst lange und möglichst intensiv genutzt werden, soll sie profitbringend eingesetzt werden. Es ist nur konsequent, wenn frühe Invalidität oder früher Tod durch ein verbessertes Gesundheitssystem möglichst reduziert werden. Der Abzug vom Profit für die Kosten einer sozialen Absicherung ist immer noch das kleinere Übel gegenüber den Kosten, die entstehen würden, müsste die Arbeitskraft von hunderttausenden Fachkräften früher ersetzt werden.

Doch die Grundaussage bleibt dieselbe wie vor mehr als 100 Jahren – das Kapital ist an der physischen und psychischen Gesundheit der Arbeitenden nur so weit interessiert, als dies für die  Grundlagen der kapitalistischen Produktion notwendig ist. Die Gewähr, dass sich die Gesellschaft wirklich für die Gesundheit der gesamten Menschheit und nicht nur für die einer privilegierten Minderheit engagiert, wird erst dann gegeben sein, wenn die Kapitalverhältnisse abgestreift wurden – wenn es also gelungen ist, den Kapitalismus zu beseitigen und die Arbeiter/innen/klasse an den Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft gegangen sein wird.



[1] Après moi le déluge: Nach mir die Sintflut

[2] Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals. – MEW 23, S.285f.

[3] Times, 5. November 1861; zitiert in: Marx, Das Kapital..., Erster Band..., a.a.O., S.285

[4] Twenty-second annual Report of the Registrar-General, 1861, zitiert in: Marx, Das Kapital..., Erster Band..., a.a.O., MEW 23, S.285

[5] Engels, Friedrich: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. – MEW 2, S.384

[6] Popp, Adelheid: Jugend einer Arbeiterin. – http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/01763.pdf

[7] Das Verhalten der Behörden war auch in diesem Falle besonders zynisch: Da Adelheid Popp viele Schulstunden unentschuldigt versäumt und nicht den Unterricht besuchen hatte, um zum Lebensunterhalt für die hungernde Familie beizutragen, wurde die Mutter auch noch zu einer Arreststrafe verurteilt… – ebenda, http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/01763.pdf

[8] Dies sollte uns eigentlich bekannt vorkommen: Beiträge zur Sozialversicherung sind nichts anderes als staatlich einbehaltene Lohnabzüge, stellen also einen Teil des Lohnes dar, auch wenn dies als „Arbeitgeberanteil“ verschleiert werden soll. Und trotzdem sitzen die Vertreter/innen der Arbeitgeber/innen in den Gremien und bestimmen mit über die Verwendung der einbehaltenen Mittel!

[9] Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse…, a.a.O., S.303f.

[10] Das Zitat stammt aus dem Roman Il Gattopardo (Der Leopard): „Se vogliamo che tutto rimanga com’è, bisogna che tutto cambi.“

[11] Markus, Georg: Leben ohne Krankenkasse. – in: Kurier, 15.7.2012, S.18

[12] Erkenntnisse über die Schädlichkeit von Kinderarbeit. – http://www.zeitspurensuche.de/02/kinder2.htm

[13] zitiert nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserliche_Botschaft#cite_note-0; unsere Hervorhebung.

[14] Kerstenholz/Valjean (Revolutionaere Marxistische Liga – Schweiz): Gesundheitsdienst und Soziale Sicherheit ohne Geschäftemacherei. – o.O. (1974), S.7

[15] ebenda, S.7

[16] ebenda, S.7

[17] vgl. dazu auch: MEW 36, S.782; Anmerkung 234

[18] Engels, Friedrich: Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei. – in: MEW 16, S.75; Hervorhebung im Original.

[19] Engels, Friedrich: Zur Wohnungsfrage. – in: MEW 18, S.256; Hervorhebung im Original.

[20] Engels an Eduard Bernstein. 12. März 1881. – in: MEW 35, S.170

[21] Engels an Eduard Bernstein, 13. September 1882. – in: MEW 35, S.359

[22] ebenda, S.359

[23] ebenda, S.359f.

[24] Engels an Eduard Bernstein. 2./3. November 1882. – in: MEW 35, S.386; Hervorhebungen im Original. vgl. dazu auch: Engels an Eduard Bernstein. 4. November 1882. – in: MEW 35, S.391

[25] Engels an Eduard Bernstein. 28. November 1882. – in: MEW 35, S.401

[26] Engels an Eduard Bernstein. 8. Februar 1883. – in: MEW 35, S.427

[27] MEW 36, S.747, Anmerkung 42

[28] Engels an August Bebel. 10./11. Mai 1883, S.27; Hervorhebung im Original.

[29] MEW 36, S.772, Anmerkung 241

[30] Engels an August Bebel. 6. Juni 1884. – in: MEW 36, S.160

[31] Wilhelm Blos, seit 1874 mit Marx bekannt, und Bruno Geiser, beide führende Vertreter des rechten Flügels der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion. Geiser wurde 1887 am Parteitag von St. Gallen aus allen Vertrauensstellungen in der Partei entfernt. Zu weiteren Vertretern des rechten Flügels der Reichstagsfraktion gehörten Karl Grillenberger und (vor allem ab den 1890er Jahren) Georg Heinrich von Vollmar.

[32] Engels an August Bebel, 6. Juni 1884, a.a.O., S.160; Hervorhebungen im Original. Zum Recht auf Arbeit vgl. auch Engels an Eduard Bernstein. 23. Mai 1884. – in: MEW 36, S.151f.

[33] an August Bebel, 6. Juni 1884, a.a.O., S.160f.

[34] Engels, Friedrich: [Die deutschen Wahlen 1890]. – in: MEW 22, S.4

[35] vgl. dazu: MEW 22, S.553, Anmerkung 4; und MEW 37, S.592, Anmerkung 375

[36] gemeint ist Kaiser Wilhelm II.

[37] Engels an Friedrich Adolph Sorge. 12. April 1890. – in: MEW 37, S.380; Hervorhebung im Original.

[38] Engels an Conrad Schmidt. 12, April 1890. – in: MEW 37, S.380

[39] Eine kurze, aber treffende Erklärung des durch und durch bürgerlichen Charakters dieser professoralen Strömung gibt z.B. auch Rosa Luxemburg in Sozialreform oder Revolution. – Luxemburg, Rosa:  Sozialreform oder Revolution. - http://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1899/sozrefrev/kap1-5.htm

[40] Engels, Friedrich: In Sachen Brentano contra Marx wegen angeblicher Zitatsfälschung. Geschichtserzählung und Dokumente. – in: MEW 22, S.95f.; Hervorhebung im Original.

[41] vgl. dazu auch: MEW 38, S.636f., Anmerkung 456

[42] Engels an August Bebel. 23. Juli 1892. – in: MEW 38, S.407

[43] Engels an Karl Kautsky. 4. September 1892. – in: MEW 38, S.448

[44] Engels an August Bebel. 6. November 1892. – in: MEW 38, S.511; Hervorhebungen im Original.

[45] Engels an Friedrich Adolph Sorge. 12. Dezember 1894. – in: MEW 39, S.338

[46] Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, a.a.O., S.411f.

[47] ebenda, S.461

[48] ebenda, S.461

[49] ebenda, S.462

[50] ebenda, S.379f.

[51] ebenda, S.424

[52] ebenda, S.300f.

[53] ebenda, S.326

[54] ebenda, S.331

[55] ebenda, S.286

[56] ebenda, S.324f.; Hervorhebungen im Original.

[57] ebenda, S.397

[58] Engels, Friedrich: Vorwort [zur englischen Ausgabe (1892) der "Lage der arbeitenden Klasse in England"]. – in: MEW 22, S.268

[59] ebenda, S.268. Gleichlautend auch in: Engels, Friedrich: Anhang [zur amerikanischen Ausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse in England"]. – in: MEW 21, S.252; und in: Engels, Friedrich: [Vorwort zur zweiten deutschen Ausgabe (1892)

der „Lage der arbeitenden Klasse in England"]. – in: MEW 22, S.319

[60] ebenda, S.265

[61] ebenda, S.268

[62] Engels, Friedrich: Die Lage Englands. II. Die englische Konstitution. – in: MEW 1, S.581

[63] Engels an Filippo Turati. 16. August 1894. – in: MEW 39, S.289

[64] Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, a.a.O., S.349f.

[65] ebenda, S.351

[66] ebenda, S.474

[67] Bohlender, Mathias: "...um die liberale Bourgeoisie aus ihrem eigenen Munde zu schlagen". Friedrich Engels und die Kritik im Handgemenge. – in: Marx Engels Jahrbuch 2007. - Berlin 2008, S.31f.

[68] ebenda, S.32

[69] Engels, Friedrich: Briefe aus dem Wuppertal. I. – in: MEW 1, S.418

[70] ebenda, S.418

[71] Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. – in: MEW 1, S.387: vgl. dazu auch die "christlich perfide Krankheit". – Marx an Engels. 20. Januar 1964. – in: MEW 30, S.386

[72] Einen kranken Mann hatte schon Zar Nikolaus I. von Russland das Osmanische Reich in einem Gespräch mit dem englischen Gesandten Seymour in St. Petersburg am 9. Januar 1853 sowie in weiteren Gesprächen genannt. – vgl. dazu: MEW 34, Anmerkung 144, S.558

[73] Engels, Friedrich: Der kranke Mann von Österreich. – in: MEW 15, S.129ff. Vgl. dazu auch die umfassende Arbeit über den Bezug von Marx und Engels zu Österreich: Hanisch, Ernst: Der kranke Mann an der Donau. Marx und Engels über Österreich. – Wien 1978

[74] Mit Bezug auf das Osmanische Reich: Engels an Marx. 25. August 1877. – in: MEW 34, S.74; Marx an Ferdinand Fleckles. 21. Januar 1877. – in: MEW 34, S.244

[75] Marx an Engels. 31. Mai 1877. – in: MEW 34,. S.44. Gemeint ist der Krieg Russlands im Kaukasus, wo die adscharische Verbände der zaristischen Armee kurzfristig starke Verluste beifügten.

[76]  Marx an Engels. 24. Oktober 1868. – in: MEW 32, S.190. Sigismund Ludwig Borkheim (1825-1885) war revolutionär-demokratischer Journalist und Teilnehmer der Revolution 1848/49 und stand seit 1860 in freundschaftlichen Beziehungen zu Marx und Engels. - vgl. MEW 32, S.858; inokulieren: hier im Sinne von einimpfen.

[77] Marx, Das Kapital..., Erster Band..., a.a.O., S.501f.

[78] ebenda, S.160

[79] Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. – in: MEW 8, S.173. vgl. dazu auch: Marx/Engels an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a. 17./18. September 1879. – in: MEW 34, S.399; Engels an Paul Lafargue. 16. Februar 1886. – in: MEW 36, S.448

[80] ebenda, S.191

[81] Marx/Engels: Zirkularbrief an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a. – in: MEW 19, S.157

[82] Fritz Tarnow hatte 1931 ausgeführt – zwar typisch reformistisch, aber doch nicht so unkritisch, wie die stalinistische Geschichtsschreibung behauptete, der sich die Student/inn/enbewegung von 1968ff. anschloss: "Nun stehen wir ja allerdings am Krankenlager des Kapitalismus nicht nur als Diagnostiker, sondern auch - ja, was soll ich da sagen? - als Arzt, der heilen will?, oder als fröhlicher Erbe, der das Ende nicht erwarten kann und am liebsten mit Gift noch etwas nachhelfen möchte? In diesem Bilde drückt sich unsere ganze Situation aus. Wir sind nämlich, wie mir scheint, dazu verdammt, sowohl Arzt zu sein, der ernsthaft heilen will, und dennoch das Gefühl aufrechtzuerhalten, dass wir Erben sind, die lieber heute als morgen die ganze Hinterlassenschaft des kapitalistischen Systems in Empfang nehmen wollen. Diese Doppelrolle, Arzt und Erbe, ist eine verflucht schwierige Aufgabe." - zitiert nach: Fritz Tarnow, der "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus". – linksnet. Für linke Politik und Wissenschaft. – http://www.linksnet.de/de/artikel/25978

[83] Lenin: Der „linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus. - in: Lenin Werke 31, S.1ff.

[84] Engels, Friedrich: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring"). – in: MEW 20, S.6

[85] ebenda, S.7; unsere Hervorhebung.

[86] Marx an Engels. 3. Juli 1869. – in: MEW 32, S.332 - hier spricht Marx von der "Lassalleschen Kinderkrankheit" der deutschen Arbeiterbewegung; Engels an Johann Philipp Becker. 11. Januar 1878. – in: MEW 34, S.316; Engels an Eduard Bernstein. 25. Oktober 1881. – in: MEW 35, S.234; Engels an Eduard Bernstein. 20. Oktober 1882. – in: MEW 35, S.374; Engels an Wilhelm Liebknecht. 12. Mai 1886. – in: MEW 36, S.483; Engels an August Bebel. 18. August 1866. – in: MEW 36, S.510; Engels an Friedrich Adolph Sorge. 12. Januar 1889. – in: MEW 37, S.137; Engels an Paul Lafargue. 25. Februar 1893. – in: MEW 39, S.40; Engels an Paul Lafargue. 6. März 1894. – in: MEW 39, S.215

[87] Engels an Paul Lafargue. 7. Mai 1886. – in: MEW 36, S.481

[88] Engels an Wilhelm Liebknecht. 31. Juli 1877. - MEW 34, S.285f.

[89] Marx, Karl: [Erster Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich"]. – in: MEW 17, S.519

[90] ebenda, S.519

[91] ebenda, S.519

[92] ebenda, S.519

[93] Marx, Karl: Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. – in: MEW 17, S.322

[94] Marx, [Erster Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich"], a.a.O., S.519

[95] ebenda, S.503

[96] ebenda, S.508f.; ebenso: Marx, Karl: [Zweiter Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich"]. – in: MEW 17, S.576

[97] Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich..., a.a.O., S.335

[98] ebenda, S.325

[99] Marx, [Erster Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich"], a.a.O., S.508

[100] Marx, [Zweiter Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich"], a.a.O., S.576

[101] Marx, [Erster Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich"], a.a.O., S.519

[102] Marx, Karl: Die Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags. – in: MEW 1, S.59

[103] ebenda, S.59

[104] ebenda, S.59

[105] Marx, Karl: Die Kriegsfrage - Parlamentsränke – Indien. – in: MEW 9, S.219

[106] Marx, Karl: [Das türkische Manifest - Die wirtschaftliche Lage Frankreichs]. – in: MEW 9, S.432

[107] Marx, Karl: Finanzieller Mißerfolg der Regierung – Mietdroschken – Irland – Die russische Frage. – in: MEW 9, S.231. Auf dieses Thema sollte Marx immer wieder zurückkommen: vgl. dazu etwa: Marx, Karl: [Entwurf einer nicht gehaltenen Rede zur irischen Frage]. – in: MEW 16, S.440; Marx, Karl: [Entwurf eines Vortrages zur irischen Frage, gehalten im Deutschen Bildungsverein für Arbeiter in London am 16. Dezember 1867]. – in: MEW 16, S.456; [Aufzeichnung einer Rede von Karl Marx über die Folgen der Anwendung von Maschinen durch die Kapitalisten. Aus dem Protokoll der Sitzung des Generalrats vom 28. Juli 1868]. – in: MEW 16, S.552f.

[108] Marx, Karl: [Die steigende Anzahl der Geisteskranken in England]. – in: MEW 12, S.533ff.

[109] ebenda, S.536

[110] ebenda, S.538

[111] vgl. dazu: Marx, Karl: In Sachen Brentano contra Marx wegen angeblicher Zitatsfälschung. Geschichtserzählung und Dokumente. – in: MEW 22, S.133

[112] Marx, Das Kapital..., Erster Band..., a.a.O., S.260ff., S.269ff., S.287, S.314f., S.440, S.448ff., S.481, S.487ff., S.496ff., S.686ff. und an vielen anderen Stellen; Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. – in: MEW 25, S.101ff, S.139

[113] Marx, Karl: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, gegründet am 28. September 1864 in öffentlicher Versammlung in St. Martin's Hall, Long Acre, in London. – in: MEW 16, S.7f.

[114] Marx, Das Kapital..., Erster Band..., a.a.O., S.506

[115] ebenda, S.507f.

[116] ebenda, S.384

[117] Marx, Das Kapital..., Dritter Band, a.a.O., S.99

[118] ebenda, S.101f.

[119] Engels, Zur Wohnungsfrage, a.a.O., S.233

[120] ebenda, S.233

[121] ebenda, S.234

[122] ebenda, S.238

[123] ebenda, S.236

[124] MEW 19, S.569, Fußnote 150

[125] Marx, Karl: Fragebogen für Arbeiter. – in: MEW 19, S.231

[126] ebenda, S.235

[127] Engels an August Bebel. 22. Dezember 1892. – in: MEW 38, S.553

[128] Engels an Natalie Liebknecht. 31. Juli 1877. – in: MEW 34, S.284

[129] Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrg.): Friedrich Engels. Eine Biographie. - Berlin 1981. S.628

[130] Engels an Laura Lafargue. 23. Juli 1895. – in: MEW 39, S.500

[131] ebenda, S.500. Engels starb am 5. August 1895.

[132] Künzli, Arnold: Karl Marx. Eine Psychographie. – Wien, Frankfurt, Zürich 1966, S.422. Arnold Künzli ist zwar zu kritisieren, wenn er Marx' Krankheitssymptome auf einen jüdischen Selbsthass zurückführt – viele seiner Interpretationen sind mehr als fragwürdig und klar anzulehnen. Trotzdem bringt seine Psychographie eine Fülle an Material, das – kritisch verwertet – auch heute noch brauchbar erscheint.

[133] ebenda, S.426

[134] Marx an Engels. 12. April 1855. – in: MEW 28, S.444

[135] Jenny Marx an Engels. August 1857. – in: MEW 29, S.644

[136] Künzli, a.a.O., S.427

[137] ebenda, S.433

[138] Engels an Marx. 27. April 1867. – in: MEW 31, S.292

[139] Marx, Karl: Hefte zur epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie. Viertes Heft. – in: MEW 40, S.98

[140] Künzli, a.a.O., S.453

[141] Marx, Karl: [Brief an den Vater in Trier]. 10. November 1837. – in: MEW 40, S.9

[142] Marx an Ferdinand Fleckles. 12. November 1880. – in: MEW 34, S.480

[143] Marx, Karl: Bekenntnisse. – in: MEW 31, S.597 – in Übersetzung: Nichts Menschliches ist mir fremd

[144] Marx, Das Kapital..., Erster Band..., a.a.O., S.285f.

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