Streiks in der 2. Republik

 

Marxismus-Buchreihe Nr. 34, ISBN 3-901831-33-9, Wien 2013, 210 Seiten, 9 Euro (plus Versand)

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Vorwort

Österreich gilt gemeinhin als „streikarmes Land". Die Kapitalist/inn/enklasse ist froh darüber und die Gewerkschaften sind stolz darauf. Politikwissenschaft und Medien sind sich einig, dass das ein Zeichen für „soziale Stabilität" ist: Konflikte würden „bei uns" eben „nicht auf der Straße", sondern in Verhandlungen gelöst. Die niedrige Streikrate sei gut für den „Wirtschaftsstandort", weil sich „Investoren" darauf verlassen könnten, dass es in Österreich keine Probleme gäbe.

Aber wie weit stimmt es überhaupt, dass es in Österreich keine oder kaum Klassenkämpfe gibt? Ist die österreichische Arbeiter/innen/klasse wirklich so integriert und individualisiert, dass sie zu keinem kollektiven Handeln in der Lage ist und keinen bedeutenden gesellschaftlichen Faktor darstellt?

Tatsächlich gibt es in Österreich eine niedrigere Streikrate als in vielen anderen Ländern. Das liegt aber nicht – wie oft behauptet wird – an einer vermeintlichen „gemütlichen österreichischen Mentalität". Immerhin gab es in Österreich die Revolution von 1848, die revolutionären Entwicklungen 1918/19, den Kampf um den Justizpalast 1927 und den Widerstand gegen den Faschismus 1934. Diese revolutionären Traditionen der österreichischen Arbeiter/innen/klasse erhielten allerdings durch Austrofaschismus und Nationalsozialismus einen massiven Rückschlag. Und ab dem Oktoberstreik 1950 folgten Jahrzehnte von institutionalisierter Sozialpartnerschaft, die stark von einer Tabuisierung von Streiks geprägt war.

Das ist aber nur die eine Seite. Es trifft keineswegs zu, dass die österreichische Arbeiter/innen/klasse seit Jahrzehnten nur passiv war. Auch in Österreich gab es in den letzten 65 Jahren eine ganze Reihe von Kämpfen; Streiks ebenso wie andere (betriebliche) Auseinandersetzungen. Einige von ihnen (etwa der Oktoberstreik 1950, der Generalstreik 2003 oder der Metaller/innen/streik 2011) sind auch relevanten Teilen der Bevölkerung bewusst. Viele andere sind aber nie breiter bekannt geworden und wieder weitgehend in Vergessenheit geraten.

In diesem kleinen Buch versuchen wir einen Überblick über die größeren und einige der kleineren Klassenauseinandersetzungen der 2. Republik zu geben: Einleitend diskutieren wir Probleme der Statistik und den Vergleich mit der 1. Republik. Danach geht es um den Schuharbeiter/inn/enstreik von 1948 und den Oktoberstreik von 1950 ebenso wie um den Metaller/innen/streik 1962 und den Postler/innen/streik von 1965. Wir besprechen die zahlreichen wilden Streiks der 1970er Jahre ebenso wie den vielschichtigen Kampf gegen die Zerschlagung der Verstaatlichten Industrie in den 1980er Jahren. Wir beschäftigen uns mit einigen revolutionären Einflussnahmen auf Klassenauseinandersetzungen in den 1980er und 1990er Jahren. Und wir untersuchen die Kämpfe des letzten Jahrzehntes: Die Arbeitskämpfe bei Postbus und ÖBB, den Generalstreik gegen die Pensionskürzungen 2003 oder den Metaller/innen/streik 2011 oder die Proteste im Gesundheitswesen 2011-2013.

Bei den kleineren betrieblichen Auseinandersetzungen, die wir beschreiben, handelt es sich bis zu einem gewissen Grad um eine „zufällige" Auswahl, nämlich um die Konflikte, über die wir Informationen haben. Mit Sicherheit gab und gibt es eine Reihe von kleineren betrieblichen Kämpfen, über die landesweit nie etwas bekannt geworden ist, weil keine politischen Kräfte, die daran Interesse haben, Zugang zu diesen Kämpfen hatten/haben. Das ist auch Ausdruck davon, dass sich große Teile der Organisationen mit revolutionärem Anspruch in den letzten Jahrzehnten nie zu einer konsequenten und systematischen Arbeit in den Betrieben durchringen konnten.

Die vorliegende Arbeit hat im Wesentlichen die zum Thema vorhandene Literatur (auch die schwer zugängliche) zusammengefasst, geordnet und politische Einschätzungen vorgenommen. Ich habe damit das getan, was neben Lohnarbeit, Privatleben und laufender politischer Tätigkeit in einer Organisation möglich war. Was ich nicht leisten konnte, war eine systematische Durchforstung von Tageszeitungen (insbesondere von regionalen Zeitungen) und eine Recherche vor Ort (etwa Gespräche mit Teilnehmer/innen an verschiedenen Streiks). Diese Aufgabe und damit auch eine tiefere Rekonstruktion der österreichischen Klassen(kampf)geschichte, auch als Grundlage für eine ernsthafte Ausrichtung revolutionärer Organisationen auf die Arbeiter/innen/klasse, stehen noch aus. Es wäre jedenfalls eine sehr lohnende Aufgabe für eine/n marxistische/n Historiker/in, all die größeren und kleineren Kämpfe der österreichischen Arbeiter/innen/klasse genauer und umfassender aufzuarbeiten.

Ich widme diese Arbeit Maria Pachinger, mit der mich als Genossin, Freundin und Sportkameradin viele gemeinsame Jahre verbinden. Sie, die aus einem Industriegebiet des Alpenvorlandes stammt, hat mich, einen Wiener, auch mit der ländlichen Arbeiter/innen/kultur dieser Region vertraut gemacht. Das hat mir durch persönliche Erfahrungen den Blick auf die österreichische Arbeiter/innen/klasse geweitet. Gerade für die vorliegende Arbeit war es wichtig, über den Wiener Tellerrand hinauszusehen. Denn von den Kämpfen, die in den folgenden Kapiteln dargestellt werden, hat ein Großteil nicht in der Hauptstadt, sondern in Industrieregionen der Steiermark, Oberösterreichs und Niederösterreichs stattgefunden.

April 2013

Inhalt

Vorwort

1. Grundlegendes

2. Nachkriegsstreiks

2.1 Schuharbeiter/innen/streik 1948

2.2 Spontane Streikwelle Ende September 1950

2.3 KPÖ-geführte Streiks Anfang Oktober 1950

3. Klassenkampf im „Wirtschaftswunder"

3.1 Rebellion auf Betriebsräte/innen/konferenz 1954

3.2 Metallarbeiter/innen/streik 1962

3.3 Andere Streiks in den 1960er Jahren

4. Wilde Streiks in den 1970er Jahren

4.1 Elin Weiz 1970

4.2 Bauknecht Rottenmann 1970

4.3 Gussstahlwerk Judenburg 1972

4.4 Böhler-Werke im Ybbstal 1973

4.5 Molkereiarbeiter/innen 1974

4.6 Hukla Wien 1974

4.7 Engel Schwertberg 1975

4.8 Wertheim Wien 1976/77

4.9 Semperit Traiskirchen 1978

5. Gegen die Zerschlagung der Verstaatlichten

5.1 VEW Judenburg 1981

5.2 VMW Wien 1982

5.3 VOEST Alpine Linz und Donawitz 1986

5.4 AMAG Ranshofen 1987

5.5 Elin Wien und VEW Kapfenberg 1987

5.6 GKB Zangtal/Voitsberg 1988

6. Flaute in den 1990er Jahren

6.1 Bewegung des Pflegepersonals 1987/89

6.2 Streik in Steyr 1990

6.3 Abgedrehter Kampf bei Semperit 1996

7. Seit der Jahrtausendwende

7.1 Generalstreik gegen Pensionskürzungen 2003

7.2 Eisenbahner/inn/enstreik 2003

7.3 Kampf um den Postbus 2001-2004

7.4 Arbeitskampf bei den Austrian Airlines 2003-2012

7.5 Streik bei Veloce 2004

7.6 Auseinandersetzung bei Siemens 2006-2010

7.7 Proteste bei den Kindergärten 2009 und 2012

7.8 Metaller/innen/streik 2011

7.9 Arbeitskämpfe im Gesundheitswesen 2011-13

8. Resümee

Literaturverzeichnis